Leidenschaft und Sucht: Ernst Ploil sammelt bereits seit seiner Kindheit. Am liebsten hätte er noch Werke von Paul Klee oder Mark Rothko in seiner Kunstkollektion.
Foto: Raffael F. Lehner

Nahe, ganz nahe soll man herantreten. Sich direkt vor die Leinwand stellen. Bis man nur Linien und bunte Flecken sieht. Dann ein Schritt zurück. Jetzt erkennt man konzentrische Kreise. Noch ein Schritt zurück. Schärfere Umrisse. Ein letzter Schritt: Plötzlich starrt ein bärtiges Gesicht mit stechenden Augen aus dem Bild.

Diese Anleitung gibt Ernst Ploil, steht man vor einem Werk des US-Künstlers Chuck Close. "Aus der Nähe herrscht großes Chaos", befindet Ploil, "und erst beim Zurückschreiten entsteht nach und nach eine Ordnung." Diese Ordnung ist es auch, die man aktuell in der Landesgalerie Niederösterreich sucht – und suchen soll.

Dabei kann man auf den Rat des Wiener Rechtsanwalts vertrauen, stammen die rund 180 dort ausgestellten Werke immerhin aus seiner Kunstsammlung, von der nun etwa ein Zehntel in der Ausstellung Schiele – Rainer – Kokoschka. Der Welt (m)eine Ordnung geben gezeigt wird.

2000 Werke aus drei Jahrhunderten

Dabei will der nicht ganz eindeutige Untertitel sagen: Neben der Ordnung, die die Sammlung für Ploil logisch ergibt, soll auch jeder Besucher sein eigenes System finden können. Das Publikum des Kremser Museums – das letztes Jahr eröffnete und neben den Landessammlungen vor allem Privatkollektionen ausstellt – darf sich eigene Wege durch die Schau bahnen.

Dies war einer der zentralen Gedanken, als der Sammler gemeinsam mit dem Kunsthändler und Kurator Herbert Giese eine Vorauswahl für die Schau traf. Kein leichtes Unterfangen, kennt man die Umfänge der seit Jahrzehnten anschwellenden Sammlung.

Der Sammler, Anwalt und Kinsky-Gründer Ernst Ploil – mit "Kopf" von Fritz Wotruba.
Foto: Raffael F. Lehner

Bereits als Kind begann der heute 73-Jährige, Münzen zu sammeln, erwarb in jungen Jahren erste Kunst. Als Mitbegründer und Geschäftsführer des Auktionshauses "im Kinsky" gestaltete er den heimischen Kunstmarkt mit und konnte so seine Expertise über die Jahre schärfen. Heute umfasst seine Sammlung an die 2000 Werke aus drei Jahrhunderten. Viele befinden sich als Leihgaben in Häusern wie dem Leopold-Museum oder der Albertina.

Aus dieser "komplexen" Sammlung, wie sie Giese im Katalog bezeichnet, wollten sie einen zusammenhängenden Querschnitt herausdestillieren. "Auf keinen Fall soll der Eindruck entstehen: aus jedem Dorf ein Hund", sagt Ploil. Soll heißen: Auch wenn noch so konträr wirkende Werke beisammenhängen, soll es möglich sein, einen Bezug herzustellen.

Geordnete Geometrie

Und es gelingt: So befinden sich dort Vitrinen mit Jugendstilgläsern und verzierte Holzschränke der Wiener Werkstätte genauso wie Skulpturen von Kiki Kogelnik und Donald Judd, verstörend Figuratives von Xenia Hausner oder minimalistische Lichtinstallationen von Dan Flavin. Dazwischen kontrastieren österreichische Seeansichten, horrende Zwischenkriegskunst und Malerei von Maria Lassnig bis Arnulf Rainer, um schließlich in US-amerikanischer Minimal Art zu münden.

Der Titel verweist auf Highlights wie Schieles "Selbstbildnis mit Pfauenweste", greift aber etwas zu kurz.
Foto: Landesgalerie NÖ / Ernst Ploil, Wien

Zwischendurch drängt sich jedoch die Frage auf, wieso die Ausstellung eigentlich die Künstler Schiele, Rainer und Kokoschka in ihrem Titel trägt. Zwar tauchen ihre Werke mehrmals darin auf und bilden beispielsweise mit Schieles Selbstbildnis mit Pfauenweste bedeutende Highlights, schaffen aber kaum, die Spannweite ausreichend darzulegen. Dass auffallend wenige Positionen weiblicher Künstlerinnen vertreten sind, fängt der Titel hingegen sehr treffend ein.

Insgesamt wird ein weiter Bogen gespannt, und das Spiel der Gegensätze beginnt, die sich aber durch formale Ähnlichkeiten immer wieder annähern. So stehen zwei Skulpturen der Bildhauer Joannis Avramidis und Fritz Wotruba gegenüber – beides Köpfe. Einer glatt-glänzend, der andere eckig-brutal. Auch die zeitliche Entstehung spielt bei dieser Anordnung nur eine untergeordnete Rolle. Geometrische Formen von Agnes Martin (1961), Wassily Kandinsky (1933), Josef Albers (1961), Gerhard Richter (1971) und Marcel Duchamp (1953) dürfen nebeneinander Platz nehmen. So manifestiert sich eine Didaktik, die bei der Suche nach der eigenen Ordnung an die Hand nimmt – jedoch nie fest zupackt.

Zum Schluss lässt sie einen vor der schwarzen Leinwand Black on Black No 8 von Ad Reinhardt los. Auch hier rät Ploil, sich nahe an das Bild heranzuwagen, denn der Titel führt Unaufmerksame hinters Licht: Steht man dicht davor, zeichnet sich ein in finsterem Braun gehaltenes Kreuz im Zentrum ab und durchbricht die monochrom-ordentliche Dunkelheit. Ein bisschen Chaos muss bleiben. (Katharina Rustler, 23.7.2020)