Im Osten befindet sich das Schloss Neugebäude, südlich davon der Zentralfriedhof, im Süden die Justizanstalt, im Westen die Müllverbrennung, und bis zum Gasometer ist es auch nicht weit. Mitten drin liegt eine riesige Fläche, die von Gärtnereien bewirtschaftet wird. 466,54 Hektar des 23,27 Quadratkilometer großen Wiener Bezirks Simmering werden landwirtschaftlich genutzt.

Auf den Straßen, die so schmal sind, dass meist keine zwei Autos aneinander vorbeikommen, fahren mehr Traktoren als SUVs. Einen Stau hat es hier vermutlich noch nie gegeben. Allzu idyllisch darf man sich diesen Teil von Wien dennoch nicht vorstellen. Hier reiht sich ein Glashaus an einen Folientunnel und an das nächste Glashaus. Freiflächen sind rar. Computer nicht. Der Automatisierungsgrad in den meisten Glashäusern ist enorm. Nur so sind gute Erträge zu schaffen.
Die Genossenschaften
Die meisten Gärtnereien hier arbeiten für die Landwirtschaftliche Gemüse Verwertungsgenossenschaft, kurz LGV, oder den Perlinger. Allein "die 75 Familienbetriebe", wie die LGV ihre Mitglieder nennt, bewirtschaften in Simmering 136 Hektar – "Tendenz leicht steigend" – und liefern 25.000 Tonnen frisches Gemüse an die Genossenschaft. Der Bioanteil liegt dabei bei rund fünf Prozent. Gar nicht so viel.
"Der Grund dafür liegt darin, dass großteils nicht in Mutterboden kultiviert wird. Es kommen keine Pflanzenschutzmittel zum Einsatz", beteuert die LGV. "Hummelvölker bestäuben die Blüten der Pflanzen in den Gewächshäusern, und Nützlinge werden eingesetzt, um Schädlinge zu bekämpfen", gibt die LGV bereitwillig Auskunft.

Franz Leitner hingegen muss man ein wenig locken, wenn man durchschauen will, wie er die Gärtnerei versteht. Er ist keiner der großen Landwirte in Simmering. Ganz im Gegenteil sogar. Seine Gärtnerei umfasst rund 7000 Quadratmeter, er hat keine computergesteuerten Gewächshäuser, bewirtschaftet alles selbst, weiß genau, wo er die Nützlinge ausgebracht hat, wo die Hummeln ihr Hotel haben.

Unkonventionell konventionell
1901, also neun Jahre nachdem Kaiserebersdorf gemeinsam mit Simmering als elfter Bezirk in Wien eingemeindet wurde, zog sein Urgroßvater aus dem Waldviertel hierher und gründete die Gärtnerei. Seit damals ist die Gärtnerei in Familienbesitz und durchlebte gute wie schlechte Zeiten. Vor 22 Jahren hängte Franz Leitner seinen Beruf als Autolackierer an den Nagel, um den Betrieb seiner Eltern zu kaufen und endlich in dem Beruf zu arbeiten, von dem er schon als Kind träumte: Gärtner.

"Wie vor 30 Jahren"
Dem schlanken und groß gewachsenen Mann sieht man die harte Arbeit an. Er hat starke Hände mit Schwielen. Bis vor wenigen Wochen hatte er eine Mitarbeiterin, die aber wegen der Corona-Erkrankung ihres Mannes nach Hause fuhr. Und auch wenn es nicht seine Entscheidung war, scheint er nun ganz froh zu sein, den Betrieb wieder allein zu bewirtschaften. "Was geht, das geht", sagt er, und "Immer größer werden ist die falsche Richtung", oder "Ich arbeite wie vor 30 Jahren".

Franz Leitner ist ein sehr reflektierter Mann – und darum vielleicht ein wenig eigensinnig. Er arbeitet im Grunde biologisch, hat sich aber dagegen entschieden, aus seiner Gärtnerei einen Biobetrieb zu machen. Auch wenn er deswegen auf viele Förderungen verzichtet.
Paradeiserparadies
Er züchtet alte Gemüsesorten, etwa riesige, fleischige Paradeiser. Die düngt er mit Pferdemist, den er aus Albern bezieht. "Laut den Biovorschriften dürfte ich nur im Oktober düngen, das passt aber nicht zu den Bedürfnissen der Paradeiser", erklärt er, warum er sich gegen Bio und fürs Düngen zum rechten Zeitpunkt entschieden hat. Außerdem stehe er nicht so darauf, kontrolliert zu werden. Er macht viel lieber sein eigenes Ding.

So vermarktet er sein Gemüse selbst auf dem Karmelitermarkt und beliefert die Gastronomie. Durch die Corona-Krise ist er dennoch gut gekommen, weil er von heute auf morgen Zettel druckte und in der Nacht in der Nachbarschaft verteilte, auf denen er anbot, Gemüse nach Hause zu liefern.
Den Lieferdienst musste er inzwischen wieder einstellen, weil die Arbeit zu viel wurde – auch wenn die Nachfrage etwas zurückging, nachdem der Lockdown vorbei war. Und er weiß heute schon, dass er künftig zwei Gasthäuser nicht mehr beliefern wird, weil sie zusperren mussten.
Heuer kein Urlaub
Langweilig wird Franz Leitner nicht. Er steht mitten in der Nacht auf, fährt auf den Markt, legt sich danach wieder ein paar Stunden hin, um dann wieder alles für den nächsten Tag vorzubereiten. "Daran hab ich mich noch nicht gewöhnt", sagt er. Im vergangenen Jahr war er im Sommer einmal drei Tage auf Urlaub. Länger geht es nicht. Heuer ist er durchgehend im Betrieb. Nicht nur, weil er seine Pflanzen, sondern auch seine Hunde und Hühner – von denen sich eines nach recht kurzer Zeit doch als Hahn zu erkennen geben hat – nicht allein lassen kann.
Da hat es Petra Fleischhacker vermutlich ein wenig leichter, auch wenn sie ihre Gärtnerei ebenfalls allein führt. Doch ihr Vater, von dem sie den Betrieb übernommen hat, geht ihr gern zur Hand, wie auch ihre Cousine und Markus, den sie von Jugend am Werk hat. Ihre Gärtnerei ist einer der wenigen Biobetriebe in Simmering und liegt fast am anderen Ende des Gärtnergrätzels.
Ein wenig ähnelt ihre Geschichte der des Franz Leitner – auch ihr Urgroßvater kam aus dem Waldviertel her, um Gemüse anzubauen. Die Großmutter stellte den Betrieb dann auf Schnittblumen um, ihr Vater wieder auf Gemüse und sie nun auf Bio: "Die Chance wollte ich mir geben", erklärt die Frau, die immer fröhlich zu sein scheint.
Bambus für die Pandas
Nur als wir am Glashaus vorbeigehen, in dem der Bambus für die Pandas in Schönbrunn wächst, wird sie einen kurzen Moment ernst und sagt: "Frag mich nicht, was ich alles anbaue – alles von A bis Z, übers ganze Jahr." Wir einigen uns auf die Frage, was sie nicht anbaut. "Süßkartoffel und Ingwer." Erstere macht zu viel Arbeit, Letzterer scheint den Boden hier nicht zu mögen.
Auch Petra Fleischhacker vermarktet ihr Gemüse – und das bisserl Obst, das sie auch noch hat – selbst und beliefert Biogreißler in Wien oder die Onlineplattform paradeisa.at. Früher war sie bei der LGV, aber das lohnte sich für sie einfach nicht.
Und jetzt? "Reich wird man davon nicht", sagt sie, "Es ist extrem viel Arbeit, und die romantische Vorstellung, die manche von dieser Arbeit haben, die stimmt einfach nicht." (Guido Gluschitsch, 30.7.2020)