"Die gegen dieses Ergebnis in den Rechtsmitteln der beklagten Partei vorgebrachten Argumente, eine Verletzung der Instandhaltungspflicht habe aufgrund des im Vergleich zum tatsächlichen Wert extrem niedrigen Kaufpreises letztlich die Verkäuferin geschädigt und es habe der Kläger sich wegen dieses Kaufpreises schlüssig mit dem Zustand der Liegenschaft einverstanden erklärt und damit auf Schadenersatzansprüche verzichtet, überzeugen nicht."¹

Warum ist dieser Satz erst nach mehrfachem Lesen verständlich? An der Länge kann es nicht liegen, denn 55 Wörter sind nur Durchschnitt, gerade in juristischen Texten, in denen uns tagtäglich viel beängstigendere Monstren begegnen.² Auch die Satzebenen sind einfach: ein Hauptsatz, ein Nebensatz. Der Grund liegt vielmehr in der Missachtung eines der elementarsten Gebote für gutes Deutsch und gute Sprache überhaupt, nämlich das Wichtigste zuerst zu nennen: Dreh- und Angelpunkt eines Satzes ist das Verb³ ⁴; je weiter man es nach hinten schiebt, desto später wird der Leser aufgeklärt, worum es überhaupt geht. Und wer das Verb gar bis ans Ende des Satzes zerrt, verschleppt dadurch den Zeitpunkt der Erkenntnis bis zum letzten und damit allerschlechtesten Moment.⁵

Diese Akten zu verstehen bedarf einer ausgeprägten kognitiven Fähigkeit.
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Den Anfang vergessen, das Ende nicht verstanden

"So schreiben Leute, die offenbar Wert darauf legen, ihren Lesern mitzuteilen, dass sie nicht imstande waren, ihre Gedanken zu ordnen, bevor sie schrieben, oder ihre Wörter zu ordnen, falls die Gedanken entgegen dem Augenschein geordnet gewesen sein sollten; Leute, die offensichtlich keine Sekunde an die Frage verschwendet haben, ob irgendeiner sie versteht."⁶ Die knorrigen Spartaner hatten die passende Antwort auf solche Unhöflichkeiten: "Den Anfang haben wir vergessen, und das Ende haben wir nicht verstanden, weil wir inzwischen den Anfang vergessen hatten."⁷

Dabei ist es ganz einfach, diesem Gebot zu entsprechen: "Nicht überzeugend sind die gegen dieses Ergebnis in den Rechtsmitteln der beklagten Partei vorgebrachten Argumente, …" – und schon weiß die Leserin und der Leser von Beginn an, dass es um schlechte Argumente geht, die im Folgenden zerpflückt werden.

Das Leben flieht bekanntlich wie ein Schatten. Jeder Schreiber sollte daher, um dem Leser möglichst wenig seiner kostbaren Zeit zu rauben, "the verb so far to the front pull that one it without a telescope discover can".⁸ (Michael Rami, 5.8.2020)