Pete Davidson als Möchtegern-Tätowierer, der unter Minderwertigkeitskomplexen laboriert.

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Touristen nehmen die Fähre nach Staten Island meist nur deshalb, um einen unvergesslichen Blick auf Manhattan zu werfen. Damit ist die Anziehungskraft dieses New Yorker Stadtteils vielleicht am besten charakterisiert: Hip liegt anderswo.

Das dem Teenageralter schon seit ein paar Jahren entwachsene Personal aus Judd Apatows neuer "dramedy" nimmt daran jedoch keinen Anstoß. Man hat sich an die Vorstadtleere gewöhnt. Die Bongs und Joints fahren um so besser ein, wenn es am nächsten Tag, ja in derselben Nacht eh nichts Besseres zu tun gibt.

Scott Carlin hat daraus sogar eine eigene Lebensmaxime gemacht. Er verweigert hartnäckig so etwas wie Entwicklung, hält sich für minderwertig und benutzt den Tod seines Vaters gerne als Ausrede für seine Defekte. In seiner "mancave" im Keller seiner Mutter (Marisa Tomei) hängt er mit Freunden ab, für seinen einzigen Traum, ein Tätowierstudio mit Essgelegenheit, findet er nicht ganz unverständlich wenig Interessenten. Abgesehen davon, dass seine Tätowierkünste, wie man auf seinem eigenen Körper sehen kann, noch ein wenig Feinschliff vertragen könnten.

Universal Pictures

Mit seinem Schwerpunkt auf einem Mann, der nicht erwachsen werden will, klingt The King of Staten Island zunächst nach sicherem Terrain für den mittlerweile 52-jährigen Apatow. Der US-Regisseur, Autor und Produzent ist das Mastermind hinter einer Palette an Komödien, die Beziehungs- und Performancekrisen des amerikanischen Mittelstands von allen Ecken und Enden durchdekliniert haben. Die Wir-werden-unerwartet-Eltern-Komödie Knocked Up (Beim ersten Mal) hat 2007 das Lebensgefühl einer Generation getroffen, zuletzt sind Apatows Figuren mit ihm schon ein Stück mitgealtert, man denke an das Ehestück This is 40 oder Amy Schumers Parcours durch die Dating-Hölle in Trainwreck.

Der geborene Komiker

The King of Staten Island ist allerdings auch ein Schritt zu etwas Neuem, und das liegt nicht zuletzt an seinem Hauptdarsteller Pete Davidson, der Comedy-Fans aus Saturday Night Live bekannt sein wird. Mit seinem drahtigen Körperbau, seinen superexpressiven Augen und dem Riesenmaul wirkt er wie eine proletarische Ausgabe von Strokes-Sänger Julian Casablancas. Auf der Leinwand hat er das untrügliche Gespür eines geborenen Comedian: schnell, pointiert, punchy. Das Drehbuch ist von seiner Lebensgeschichte mitinspiriert, Davidson kommt aus Staten Island, sein Vater starb wie jener von Scott Carlin als Feuerwehrmann im Dienst (anders als im Film aber bei den Anschlägen von 9/11).

Realistischer Blick auf Amerika

Das verleiht dem Film eine Art "street-credibility", die Apatow hier auch stilistisch mehr als in früheren Arbeiten sucht. Nicht nur die Kamera von Robert Elswit (für There Will Be Blood Oscar-gekrönt) ist aufmerksam für die abgenutzten Schauplätze dieser Suburbia, für den Realismus eines Amerikas, das ein wenig aus der Zeit gefallen scheint. Auch die innere Perspektive des Films gilt, sieht man von den derb-heiteren Zwischenspielen ab, unerfüllten Sehnsüchten der Figuren. Die neue Liebe der Mutter, ein Glatzkopf mit Schnauzer (großartig: Bill Burr), wird etwa erfrischend aufrichtig erzählt.

Apatow scheint gar den Anspruch zu hegen, ein Frank Capra seiner Zeit sein zu wollen, so sehr liegt ihm der kommunale Zusammenhalt am Herzen. Noch nie hat er sich so ernsthaft für die sozialen Hintergründe interessiert. Dass der so verbesserungsresistente Scott ausgerechnet bei den Jungs von der Feuerwehr eine Gelegenheit zur Einkehr findet, erscheint zwar forciert, tut der Freude an den Charakteren aber kaum Abbruch. Apatow ist eben besser darin, die Ambivalenzen seiner Figuren zu entwerfen, als darin, diese für eine Sache wieder einzuebnen. (Dominik Kamalzadeh, 30.7.2020)