Manchmal meint man, er würde es absichtlich machen. Kanadas Premier Justin Trudeau taucht verlässlich in Skandalen auf, die ihn in ein besonders merkwürdiges Licht rücken. Vor drei Jahren waren es Familienreisen auf Kosten Aga Khans, später jugendliche Auftritte in Blackface, die plötzlich im Wahlkampf wieder öffentlich wurden; dann war es die Einmischung in ein laufendes Strafverfahren zugunsten eines Großkonzerns. Und nun geht es eben um einen riesigen Auftrag während der Corona-Krise an eine Hilfsorganisation, von der Familienmitglieder Trudeaus in den vergangenen Jahren viel Geld bekommen hatten.

Gemeinsam haben sie alle, dass sich jeweils für alles eine Erklärung fand. Die geschenkte Reise war ein Treffen mit einem "alten Freund", der Eingriff im Sinne der Firma rettete kanadische Arbeitsplätze. Während Corona musste es eben schnell gehen. Und das mit Blackface, nun ja: Lang her, Trudeau bereut es aufrichtig – und auch glaubhaft. Alles für sich ist damit jeweils erklärt, könnte man sagen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Kanadas Premier Justin Trudeau geht mit seiner Rechtschaffenheit immer wieder hausieren.
Foto: REUTERS/Blair Gable

Und ja, es bleibt natürlich richtig, wenn Anhänger des kanadischen Premiers nun sagen, dass das formal unfair ist. Ein Blick über die Grenze nach Süden beweist das. US-Präsident Donald Trump schafft die Skandalquote aus Trudeaus bisher fünfjährige Amtszeit vermutlich jeden Monat. Wieso muss Kanadas Premier vor ein Parlamentskomitee, während sein viel mächtigeres Pendant tun kann, was es will?

Weil das zu einfach wäre. Denn einerseits wird die Häufung von Skandalen langsam auffällig, und zwar auf ungute Art. Und andererseits geht es natürlich schon darum, dass Trudeau für sich selbst andere Maßstäbe setzt, als Trump das tut.

Es ist Kanadas Premier, der mit seiner Rechtschaffenheit immer wieder hausieren geht, der Moral zu einem Pfeiler seines politischen Programms gemacht hat – was man von Trump beim besten Willen nicht behaupten kann. Gerade er also müsste sich auch nach den eigenen Maßstäben richten. Dazu gehört, sich nicht ständig in Situationen zu bringen, für die er zu Recht kritisiert werden kann – und in denen er und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter wohl schon längst den Rücktritt von Gegnern verlangt hätten.

Wer Trudeau Trump vorzieht, tut das meist aus gutem Grund – eben weil er vorgibt, für eine andere Art von Politik zu stehen. Wer das tut, muss sich dann aber auch daran halten. Denn die Konsequenz ist ein Verlust von Vertrauen – nicht nur in Trudeau selbst, sondern auch in das, wofür er steht. (Manuel Escher, 31.7.2020)