Susanne Raab zu den 85 Prozent Frauenanteil bei den Corona-bedingten Arbeitslosen: "Man muss Arbeitsmarktzahlen richtig verstehen."

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Sei es der Österreichische Frauenring oder die feministische Plattform "Frauenvolksbegehren" – die Kritik an Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) ist seit Antritt der türkis-grünen Bundesregierung laut. Keine feministische, sondern eine konservative Frauenpolitik betreibe sie, und die bringe uns Gleichstellung nicht näher, so der Tenor. Raab sieht hingegen in einem automatischen Pensionssplitting, das sie einführen möchte, einen zentralen Gedanken der Gleichberechtigung gesetzlich verankert: Fairness bei der Kinderbetreuung und Familienarbeit.

STANDARD: Sie haben in einem Interview gesagt, es dauere sehr lange, bis sich die Rollenbilder von Frauen und Männern verändern. Mithilfe welcher Maßnahmen kann man das beschleunigen?

Raab: Jede Partnerschaft organisiert sich ja selbst, und natürlich wünsche ich mir zutiefst, dass Frauen und Männer in gleichberechtigten Partnerschaften leben und die Haus- und Kinderbetreuung gemeinsam übernehmen. Es gibt eine Verantwortung der Eltern, ihren Kindern ein gleichberechtigtes Lebensmodell vorzuleben, von dem Kinder lernen können. Wir als Staat müssen die Rahmenbedingungen schaffen, damit das auch möglich ist. Dafür ist es zentral, dass wir Kinderbetreuungsangebote weiter ausbauen. Wir haben mit der 15a-Vereinbarung gemeinsam mit den Ländern 180 Millionen Euro jährlich bis 2022 für den Ausbau der Kinderbetreuung investiert, diese Investition ist jetzt im Feld, und diesen Weg müssen wir auch weitergehen. Und: Mädchen brauchen Vorbilder. Denken wir nur an Irene Fuhrmann, die jetzt als erste Teamchefin das Frauenfußball-Nationalteam coacht. Mädchen müssen sehen, dass sie auch in Männerdomänen arbeiten können.

STANDARD: Die Corona-Krise zeigt nun allerdings, dass es dem Staat noch nicht gelingt, eine Infrastruktur für ein gleichberechtigtes Leben zu schaffen. Beim Anstieg der coronabedingten Arbeitslosigkeit ist der Frauenanteil mit 85 Prozent sehr hoch.

Raab: Im Vergleich zum Vorjahresmonat waren heuer im Juli 44 Prozent mehr Frauen arbeitslos und 47 Prozent mehr Männer. Man muss Arbeitsmarktzahlen richtig verstehen und sie im Kontext von saisonalen Schwankungen betrachten. Das andere sind die Auswirkungen von Corona auf Frauen. Ende Juli haben wir im Ministerrat beschlossen, dass die angekündigte Arbeitsstiftung einen Frauenschwerpunkt erhält. Wir müssen jene Frauen, die jetzt arbeitslos sind, für Zukunftsbranchen qualifizieren. Zur Corona-Krise muss ich schon noch sagen: Wir haben ein umfassendes Entlastungspaket für Frauen und Familien geschaffen. Wir haben den staatlichen Unterhaltsvorschuss erleichtert und den Familienhärte- und Familienkrisenfonds um 60 Millionen Euro erhöht. Auch war mir wichtig, dass 30 Millionen des Gemeindepakets für die Gratisferienbetreuung zur Verfügung stehen.

STANDARD: Es hat aber generell einen leichten Anstieg bei der Frauenarbeitslosigkeit gegeben, von 42 auf 44 Prozent seit 2010. Hinzu kommt, dass gerade jetzt der Ausblick für Frauen auf dem Arbeitsmarkt nicht gut ist, Stichwort Dienstleistungsbranche.

Raab: Natürlich müssen wir die Auswirkungen der Pandemie auf die Arbeitsmarktsituation von Frauen genau im Blick haben. 50 Prozent der AMS-Förderungen müssen an Frauen gehen. Wir müssen alles tun, um Frauen wieder in äquivalente Berufe zu bekommen und dass es zu keinem Rückschritt in der beruflichen Situation von Frauen kommt. Da können Sie sicher sein, da werden die Arbeitsministerin und ich ein Auge darauf haben.

STANDARD: Kürzlich hat der "Equal Pension Day" auf 42 Prozent Pensionslücke zwischen Frauen und Männern hingewiesen. Sie wollen dem mit einem automatischen Pensionssplitting entgegenarbeiten. Festigt das nicht wieder alte Rollenbilder?

Raab: Das automatische Pensionssplitting ist für mich ein Meilenstein mit einem zentralen Gedanken der Gleichberechtigung: Wenn man gemeinsam ein Kind in die Welt setzt, hat man eine gemeinsame Verantwortung für die Kindererziehung. Und wenn ein Elternteil mehr erwerbstätig ist und der andere mehr in der Kinderbetreuung arbeitet, dann muss es doch logisch sein, dass der Elternteil, der mehr erwerbstätig ist, dem Elternteil, der in der Kinderbetreuung arbeitet, Pensionsansprüche abgibt. Das ist für mich ein Grundgedanke einer gleichberechtigten Partnerschaft. Der Hauptgrund für diese 42 Prozent sind die Zeiten, die Frauen in der Kinderbetreuung arbeiten, und da verwende ich bewusst den Terminus "arbeiten". Mit dem Pensionssplitting können wir gegen die Altersarmut von Frauen kämpfen. Doch wir müssen dabei noch unterschiedliche Dimensionen berücksichtigen, etwa wie die Kindererziehungszeiten genau Eingang finden und wie die unterschiedlichen Lebensmodelle wie etwa Patchworkfamilien berücksichtigt werden.

STANDARD: Im Wahlprogramm der ÖVP fand sich der Vorschlag, dass die Kollektivverträge auf mögliche Diskriminierung geprüft werden sollten, eine Idee, die auch die Grünen bereits vorbrachten. Was ist daraus geworden? Das könnte jetzt vielen Frauen in systemrelevanten Berufen zugutekommen.

Raab: Kollektivvertragsverhandlungen sind natürlich Angelegenheit der Sozialpartner. Wir haben aber ein gesamtgesellschaftliches Interesse daran, dass wir den Gender Pay Gap zwischen Männern und Frauen reduzieren. Wir sind mit den Sozialpartnern in Kontakt und haben ein genaues Auge darauf, dass bei vergleichbarer Arbeit und bei vergleichbarer Qualifikation auch gleich entlohnt wird.

STANDARD: Im Regierungsprogramm wurde angekündigt, dass es wieder eine Zeitbudgetstudie geben wird, die die Verteilung der unbezahlten Arbeit gut abbildet. Wie sieht es damit aus?

Raab: Die europaweiten Zeitbudgetstudien sind ein längerfristiger Vergleich. Wir werden uns, wie im Regierungsübereinkommen festgelegt ist, natürlich daran beteiligen, und ich halte das auch für vernünftig. Aber in solchen Langzeitstudien dürfen Effekte, wie es sie nun mit Corona gibt, nicht verzerrt werden. Deshalb müssen wir zum einen die aktuellen kurzfristigen Effekte von Corona beobachten, die Situation von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und wie die Aufgabenverteilung zwischen Männern und Frauen ist. Zum anderen werden wir uns für den langfristigen Vergleich an der Zeitverwendungsstudie beteiligen. Die zuständigen Ressorts, das Sozial-, Arbeits- und Frauenministerium, koordinieren sich da gerade.

STANDARD: Seit wenigen Wochen können auch niedergelassene Gynäkologinnen und Gynäkologen die Abtreibungspille Mifegyne ausgeben. Das erleichtert den Zugang zu einem sicheren Schwangerschaftsabbruch. Feministinnen haben das schon lange gefordert. Warum haben Sie diesen wichtigen Schritt nicht kommentiert?

Raab: Das ist ein behördliches Verfahren des Bundesamts für das Sicherheit im Gesundheitswesen. Ich konzentriere mich auf meinen Kompetenzbereich. Meine Aufgabe als Frauenministerin ist, dass keine Frau in einer solchen schwierigen Lebenssituation allein gelassen wird, dass sie Unterstützung bekommen und auf ein umfassendes, niederschwelliges und ergebnisoffenes Beratungsangebot anonym zurückgreifen kann. Ich würde mir nie anmaßen, als Frauenministerin über die Entscheidungen von Frauen in einer solchen schwierigen Lebenssituation zu urteilen. (Beate Hausbichler, 10.8.2020)