Wiedner Hauptstraße 32 im vierten Wiener Bezirk. Was wie ein gewöhnliches Gründerzeithaus wirkt, ist der Sitz des Roten Kreuzes, Zweigstelle Blutspendezentrale. Hierher kommen seit neuestem auch Menschen, die eine Covid-19-Erkrankung hinter sich haben. Ihr Blut enthält wertvolle Antikörper, die im Blutplasma schwimmen – und genau diese sollen hier gewonnen werden.

Die Spender liegen auf großen roten Liegen, tragen Masken, in einer ihrer Armbeugen steckt eine Kanüle. Aus dieser läuft durch einen schmalen Schlauch rote Flüssigkeit. Blut eben. Daneben hängt ein Beutel, der sich Tropfen um Tropfen mit einer gelben Flüssigkeit füllt: Plasma. Es kann schwer erkrankten Covid-19-Patienten helfen, deren Körper selbst keine oder nur unzureichend Antikörper gegen das Virus bilden kann.

Wer Covid-19 hatte, trägt Antikörper gegen das Virus in sich, die im Blutplasma enthalten sind. Eine Spende kann jenen helfen, die schwer erkrankt sind.
Foto: Heribert Corn www.corn.at

Einer dieser Spender ist Alexander Spörker. Er spricht ganz unaufgeregt von seiner Erkrankung. Im März hat er sich im Skiurlaub mit einer Gruppe von Freunden mit Sars-CoV-2 infiziert. Fast drei Wochen lang war er danach an Covid-19 erkrankt, hatte Fieber, hartnäckigen Husten und Gliederschmerzen.

Seine Frau, die sich ebenfalls infizierte, klagt bis heute über Probleme mit dem Geruchs- und Geschmackssinn. "Wir haben selbst gesehen, wie schnell sich das Virus im Freundeskreis verbreiten kann. Wir hatten Glück, viele hatten keinen so milden Verlauf, sagt er und rät jedem, der kann, sich eine Stunde für die Plasmaspende Zeit zu nehmen.

Fieberhafter Verlauf

Während Spörker spricht, läuft sein Blut aus der Armvene in einen Zellseparator, dort wird es in Blutzellen und Plasma getrennt. Während das Plasma in einem Beutel gesammelt wird, werden die Blutzellen dem Spender über den Entnahmeschlauch wieder zurückgegeben – Blutabnahme und Rückgabe erfolgen abwechselnd. Eine Spende dauert etwa 40 Minuten, dabei werden zwischen 450 und 650 Milliliter Plasma gesammelt.

Alexander Spörker hatte einen fieberhaften Verlauf. Das ist deshalb relevant, weil es bisher so scheint, als verfügten jene Patienten, die besonders hohes Fieber hatten, über eine höhere Zahl an Antikörpern.

Die Symptome und die Schwere der Erkrankung scheinen bei der Antikörperbildung eine Rolle zu spielen, sagt Ursula Kreil, Fachärztin für Transfusionsmedizin beim Roten Kreuz. Derzeit wisse man aber längst noch nicht alles, und es gehe darum, Erfahrungen zu sammeln, so die Medizinerin.

Derzeit werden Männer als Spender bevorzugt. Sie haben tendenziell mehr Antikörper im Blut.
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Wer rekonvaleszent, also genesen ist, und spenden möchte, wendet sich an das Servicetelefon und wird dort erstmals befragt. Von der Spende ausgeschlossen sind Menschen über 60, Personen mit weniger als 50 Kilo und jene, die an schweren Herz-Kreislauf- oder chronischen Infektionskrankheiten leiden.

Auch bei Frauen gibt es ein Problem: Sind sie schwanger, kann ihr Plasma bestimmte Antikörper enthalten, die für Covid-19-Patienten gefährlich sein könnten. Weil das Rote Kreuz kein Risiko eingehen will, werden derzeit männliche Spender bevorzugt. Außerdem produzieren Männer mehr Antikörper.

Portionen zu 200 Millilitern

Wie bei herkömmlichen Bluttransfusionen, erklärt Ursula Kreil, muss auch bei der Gabe von Plasma die Blutgruppe übereinstimmen oder zumindest kompatibel sein. 700 ehemals Infizierte haben beim Roten Kreuz bereits Plasma gespendet.

50 schwer an Covid-19 erkrankte Patienten wurden damit bereits behandelt. Sie bekommen dabei pro Plasmagabe je 200 Milliliter direkt in die Blutbahn verabreicht, meist werden zwei bis drei Einheiten gegeben. Zuvor wurde das Plasma auf sämtliche Infektionen getestet, die per Blut übertragen werden können.

Neben der direkten Verabreichung des Plasmas von einem konkreten Spender an einen konkreten Patienten – wie es das Rote Kreuz macht – stellen Pharmaunternehmen aus Plasmaspenden sogenannte Hyperimmunglobuline her, in denen eine hohe Zahl von Antikörpern unterschiedlicher Spender enthalten ist. So können variable Antikörper-Titer in den Spenden ausgeglichen werden.

Markenloses Medikament

Mehrere Unternehmen haben für die Entwicklung eines solchen Arzneimittels eine Allianz gebildet, wie es sie zuvor noch nie gegeben hat. Thomas Kreil ist Leiter der globalen Pathogensicherheit bei Takeda. Das Pharmaunternehmen arbeitet an einem großen Standort in Wien seit über 65 Jahren in der Entwicklung von Plasmaprodukten.

Ursula Kreil, Fachärztin für Transfusionsmedizin beim Roten Kreuz.
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Gerade bei Corona gehe es nicht mehr darum, wer zuerst auf den Markt kommt, sondern darum, dass alle gemeinsam das Tempo erhöhen, Erfahrungen bündeln und größere Mengen zur Behandlung verfügbar werden, sagt er.

Neben Pharmaunternehmen sind etwa auch die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung beteiligt, um möglichst viele Spender zu finden, sowie das Fahrdienstunternehmen Uber, das ehemalige Covid-19-Patienten kostenlos zur Plasmaspende bringt. Ziel der Zusammenarbeit ist ein markenloses Medikament, das allen Menschen zur Verfügung stehen soll, so Thomas Kreil.

Man wolle sich nicht an Ländergrenzen oder Profit orientieren, sondern an den Bedürfnissen der Patienten. Bei Takeda werden die im Plasma enthaltenen Antikörper in einem komplexen Verfahren konzentriert und haltbar gemacht. Die Blutgruppe spielt nach diesem Prozess keine Rolle mehr – weil die Antikörper "von sehr vielen verschiedenen Spendern kommen und danach aufgereinigt werden", wie Thomas Kreil erklärt.

Geben, damit andere Covid-19 leichter überstehen.
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Zu Immunglobulinen verarbeiten

Noch steht nicht fest, wie viele Immunglobuline notwendig sind, um Covid-19-Patienten zu behandeln. Von den verschiedenen Antikörper-Gruppen konzentriert Takeda sich derzeit auf Immunglobuline der Klasse G. "Weil sie funktionell die potentesten sind, in genesenen Spendern am längsten anhalten und wir bewiesene und zugelassene Prozesse zur Aufreinigung haben, sie also in unseren Anlagen sofort herstellen können", so Thomas Kreil. Demnächst startet Takeda mit dem letzten Stadium der klinischen Erprobung, in wenigen Monaten soll das Medikament auf den Markt kommen.

Die Wirkung von Plasma gegen Covid-19 ist wissenschaftlich derzeit noch nicht eindeutig belegt. Eine im Juli aktualisierte Cochrane Review hat 20 Studien mit 5211 Teilnehmenden untersucht. Die vorhandenen Arbeiten sind nach Ansicht der Autorinnen und Autoren von schlechter Qualität, die Ergebnisse könnten ebenso mit dem natürlichen Fortschreiten der Krankheit oder anderen Behandlungen, die die Teilnehmenden erhielten, zusammenhängen, so das Fazit.

Der richtige Zeitpunkt

Viele Medizinerinnen und Mediziner berichten hingegen von der Wirksamkeit der Therapie. Ursula Kreil erzählt von einem Patienten, der bereits fünf Wochen schwer krank war und nach zweimaliger Gabe von Rekonvaleszentenplasma nach wenigen Tagen die Intensivstation verlassen konnte. Thomas Kreil spricht von einer "immer größer werdenden Evidenz".

Entdeckt hat das Prinzip der Plasmaspende Emil von Behring Ende des 19. Jahrhunderts. Seither wird die Methode immer wieder gegen Infektionskrankheiten eingesetzt. "Antikörper haben im Menschen bewiesen, dass sie funktionieren, weil sie die Virusinfektion dort schon einmal eliminiert haben", so Thomas Kreil.

Das Plasma wird tiefgefroren und kommt im Ernstfall zum Einsatz.
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Auch die US-Regierung erteilte vor wenigen Tagen eine Notfallgenehmigung für die Behandlung von Covid-19 mit Blutplasma. Der Chef der zuständigen Lebensmittel- und Arzneimittelbehörde (FDA), Stephen Hahn, sprach von begrenzten, aber bisher "vielversprechenden" Daten zur Wirksamkeit.

Zu spät therapiert

Es gibt allerdings auch Fälle, bei denen die Therapie nicht funktioniert hat – bei Patienten im fortgeschrittenen Stadium, "wo es schon zu schweren, gewebezerstörenden Schäden, vor allem in der Lunge, gekommen ist", so Ursula Kreil. Der richtige Zeitpunkt der Gabe des Rekonvaleszentenplasmas ist somit ein wesentlicher Faktor für den Therapieerfolg. "Je früher im Krankheitsverlauf behandelt wird, desto wirksamer ist die Therapie", sagt Thomas Kreil.

Sowohl beim Roten Kreuz als auch bei Takeda werden weiterhin Spender gesucht. "Jeder Liter zählt", sagt Thomas Kreil. Auch für den Fall, dass es im Herbst zu einer zweiten Welle kommt. Laut Ursula Kreil vom Roten Kreuz können die Spitäler mittlerweile aber bei Bedarf sicher mit Rekonvaleszentenplasma versorgt werden, das tiefgefrorene Plasma liege auch für die Zukunft in ausreichenden Mengen bereit, "wir starten dann von einem weitaus besseren Punkt". (Bernadette Redl, CURE, 28.8.2020)