Die jüngste Vorausschau weist stark wachsende Ausgaben für das Pensionssystem aus, doch Seniorenvertreterin Ingrid Korosec gibt sich entspannt: Langfristig sei der Kostenanstieg verkraftbar – und die Prognosen würden noch im positiven Sinn unterboten werden.

Foto: Regine Hendrich

Ingrid Korosec hat das Wachbleiben von klein auf trainiert. Als 1940 geborenes "Kriegskind" habe sie nicht einsehen wollen, dass sie mangels Strom und Heizmaterial von der Dämmerung bis zum Morgengrauen im Bett bleiben sollte, erzählt die aus Böheimkirchen in Niederösterreich stammende ÖVP-Politikerin: "Mit fünf habe ich mir geschworen: Ich will nicht mein halbes Leben verschlafen." So kommt Korosec heute mit vier bis fünf Stunden Schlaf aus – und nützt die gewonnene Zeit zum Arbeiten. Obwohl sie heuer 80 Jahre alt wird, ist sie zehn bis zwölf Stunden am Tag im Dienst.

STANDARD: Sie leben als Politikerin von persönlichen Kontakten, zählen aber zu einer durch Covid-19 stark gefährdeten Altersgruppe. Wie streng sind Sie zu sich selbst, wenn es um Zurückhaltung in der Öffentlichkeit geht?

Korosec: Auch ich war im Lockdown im Homeoffice, was vor allem meine zwei Katzen gefreut hat, die sich gerne über das Tablet ausgestreckt haben. Natürlich halte ich mich an alle Vorsichtsmaßnahmen, bin aber von Anfang an täglich zum Laufen rausgegangen, auch das Einkaufen habe ich mir nicht nehmen lassen. Wie viele Seniorinnen und Senioren hat mich geärgert, dass wir pauschal als Risikogruppe abgestempelt wurden, als ob wir alle krank und nicht mehr zu brauchen wären. Das Virus kann genauso gut einen 30- oder 50-Jährigen treffen.

STANDARD: Fast 95 Prozent der Todesfälle entfallen aber nun einmal auf die Generation 65 plus ...

Korosec: ... weil diese Menschen natürlich mehr Vorerkrankungen haben. Im Alter von 90 Jahren ist eine Grippe wahrscheinlich auch das Todesurteil. Die Appelle zum Schutz der Senioren waren gut gemeint, haben aber auch zu Auswüchsen geführt. Da wurden ältere Leute zum Teil regelrecht weggesperrt.

STANDARD: Zum Beispiel?

Korosec: In einem Fall hat ein Heim einer Dame den Platz aufgekündigt, weil sie spazieren gegangen ist. Nachdem die Sache bei mir gelandet war, wurde das zurückgenommen, wobei ich die Sicht der Betreiber auch ein Stück weit nachvollziehen kann: Ein Corona-Fall hätte eine Katastrophe auslösen können. Doch die älteren Menschen haben sich vielfach bevormundet gefühlt. Denken Sie an die Empfehlung, nur in den Morgenstunden einkaufen zu gehen! Mir haben Leute erzählt, dass sie scheel angesehen wurden, als sie zu anderen Zeiten im Supermarkt waren. Die Senioren sind selbstständig genug, um ihnen Eigenverantwortung zuzumuten.

STANDARD: Hat der Lockdown für die Älteren Nachwirkungen?

Korosec: Ich bin sicher, dass sich Depressionen als Folge von Einsamkeit stark ausgebreitet haben. Sie müssen bedenken: Mit 90 ist Ihnen bewusst, dass Ihre Zeit endlich ist, da wiegt es schwer, wenn Sie drei Monate lang die Enkel oder Freunde nicht sehen dürfen. Einen BackIash gab es auch beim Selbstbild. Seit Jahren bemühe ich mich, Menschen die Botschaft mitzugeben, dass sie in der Pension der Welt noch einen Haxn ausreißen können. Der Ruhestand ist ein großartiger Lebensabschnitt, in dem sich vieles nachholen lässt, was im Alltag verschüttet wurde. Der Lockdown hat da viel Selbstbewusstsein zerstört.

STANDARD: Finanziell gesehen sind Pensionisten aber nicht getroffen, während die Krise viele jüngere Menschen Job und Chancen gekostet hat. Wäre da nicht ein Solidarbeitrag der Alten zugunsten der Jungen, etwa in Form einer geringeren Pensionserhöhung, gerechtfertigt?

Korosec: Das hört sich verführerisch an, geht aber an der Realität vorbei. Von einem Euro Pension werden 70 Cent sofort wieder ausgegeben – und wir brauchen jeden einzelnen Cent, um die Wirtschaft anzukurbeln.

STANDARD: Eine kräftige Anhebung des Arbeitslosengeldes zum Beispiel würde den gleichen Effekt bewirken.

Korosec: Ich begrüße ja auch jeden Bonus, der jetzt ausbezahlt wird – ob für Arbeitslose oder Kinder.

STANDARD: Der Staat hat aber nicht unbegrenzt Budget – und neue Daten zeigen, dass die staatlichen Kosten für die Pensionen in den nächsten Jahren massiv steigen werden.

Korosec: Die kurzfristige Belastung wird steigen, weil die Babyboomer-Generation in Pension geht. Langfristig zeigen die Prognosen aber einen verkraftbaren Kostenanstieg, weil Reformen greifen: die Kürzung der Beamtenpensionen, der längere Durchrechnungszeitraum bei der Bestimmung der Pensionshöhe.

STANDARD: Und die Prognose wird trotz Krise halten?

Korosec: Ich bin sogar überzeugt, dass die Prognose im positiven Sinn unterboten wird. Das heißt aber nicht, dass die Politik untätig sein soll. Die Hacklerregelung ...

STANDARD: ... die einen Pensionsantritt ab 62 Jahren ohne Abschläge erlaubt ...

Korosec: ... gehört ersatzlos gestrichen. Die kostet in den nächsten fünf Jahren 600 Millionen.

STANDARD: Teuer kommt aber auch die Regelung, wonach Neo-Pensionisten gleich im ersten Jahr eine Inflationsanpassung bekommen sollen.

Korosec: Die soll nicht gänzlich fallen, aber so angepasst werden, dass die Erhöhung nur aliquot für die tatsächlichen Monate in Pension gilt. Doch das Parlament war vor der Wahl leider so großzügig. Ich habe damals auf der Tribüne gar nicht fassen können, was da geschieht. Wenn man über die Kosten der Pensionen spricht, ist aber auch anzumerken: Die Arbeiter und Angestellten zahlen sich ihre Pensionen mit Beiträgen mittlerweile zu 80 Prozent selbst. Ein Problem haben wir noch bei den Bauern und Selbstständigen, wo ein gutes Stück fehlt.

STANDARD: Darf man das in der ÖVP denn laut sagen?

Korosec: Das ist nun einmal eine Tatsache.

STANDARD: Die ÖVP hat eine Wende in der Pensionspolitik hingelegt. Einst hat sie vehement auf Reformen im System wie etwa eine Pensionsautomatik gedrängt, auch Sebastian Kurz war vor seiner Kanzlerschaft ein Anhänger dieser Idee. Jetzt ist von all dem keine Rede mehr. Wie kam das?

Korosec: Da hat Überzeugungsarbeit, wie ich sie geleistet habe, gefruchtet, auch beim heutigen Bundeskanzler. Es ist schließlich einleuchtend: Die Medianpension beträgt 1200 Euro im Monat. Wo wollen Sie da groß einsparen? (Gerald John, 2.9.2020)