Im Schweizergarten gibt es einen Teich, vor allem aber eines von zehn Kinderfreibädern, die in Wien noch geöffnet haben.

Andy Urban

Nicht Stadtrand...

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... sondern im Herzen der Stadt: Der Schweizergarten.

Andy Urban

Fast könnte man meinen, hier wäre schon Stadtrand, hinter dem Belvedere, das mit "Come For a Kiss!" zur Klimt-Ausstellung über den Gürtel zu locken versucht. "Aber wir sind ja im Herzen der Stadt", sagt Landschaftsarchitektin und Ziviltechnikerin Prof. Arch. Dipl. Ing. Maria Auböck, die mit ihrem Atelier Auböck + Kárász im Laufe ihrer langen Karriere unter anderem die Gärten und Atrien des Erste Campus nebenan gestaltet hat und den barocken Garten des Belvedere restaurierte. "Der Park hier bietet sich nicht als Charmebolzen an", so Auböck, aber die Mischung macht ihn besonders. "Die verschiedenen Parks von Wien haben alle wie Lebewesen ihren Charakter und wandeln sich auch."

Marandjosefa!

Gewandelt haben sich der Schweizergarten und sein Drumherum gewaltig: Eröffnet wurde er am 5. Juni 1906 als Maria-Josefa-Park, benannt nach der ältesten Tochter von Joseph I., eine Huldigung des Kaiserhauses, auf dessen Liegenschaften er sich befand. Damals prangten hier monumental der Südbahnhof der Jahrhundert wende und der alte Staats-(spätere Ost-)Bahnhof. Das Areal vor dem Arsenal blieb unbebaut zum Zwecke des freien Schussfelds. Die Kaserne samt Gewehrfabrik, Kanonengießerei und Spital wurde nach der Märzrevolution 1848 aus dem Boden gestampft und diente dem Schutz vor Volksaufständen. Nur deshalb konnte man hier später einen englischen Landschaftsgarten mit verschlungenen Wegen, malerischen Gehölzgruppen, Wasserläufen und Teichen anlegen, die insgesamt 11,4 Hektar ließ man sich etwas kosten: Für die "gärtnerische Ausgestaltung" ließ man mit 221.426 Kronen im Vergleich zu 278.579 Kronen für Wegebau und Bepflanzung viel springen. Das Gebiet sollte später immerhin von neuen Stadtvierteln umgeben sein, so der Plan.

Doch zuerst brach der Erste Weltkrieg aus. Ihm folgte die Spanische Grippe mit um die 20.000 Toten allein in Österreich. Und eine großzügige Spende der Schweiz an das kriegsmarode Österreich, "die ist deshalb sagenhaft wichtig, weil auch eine ganze Generation von Jugendlichen hingeschickt worden ist", so Auböck. Zum Dank benannte man kurzerhand den Maria-Josefa-Park in Schweizergarten um.

Botanische Moden

Auch das Rote Wien hinterließ hier seine Spuren, wo einst ein Zierteich war, errichtete man eines der 23 Kinderfreibäder (zehn davon haben heuer noch geöffnet). Den Zweiten Weltkrieg überstanden nur Teile des Parks, verewigt ist er im Staatsgründungsdenkmal aus dem Jahr 1966, in jenem Winkel, wo früher der 13A seine Schleife zog, samt "Proklamation über die Selbständigkeit Österreichs" auf neun Steintafeln. "Jedoch wird Österreich darauf aufmerksam gemacht, dass es für die Beteiligung am Kriege aufseiten Hitlerdeutschlands Verantwortung trägt, der es nicht entgehen kann", steht hier schön deutlich im öffentlichen Raum.

Der Schweizergarten ist auch ein Verzeichnis botanischer Moden. Birke, Wacholder und Polyantharosen waren "der Atem der Sechzigerjahre", sagt Auböck. 1900 war das Alpinum groß in Mode, Gneisplatten wurden in künstliche Wasserquellen verbaut und in die Umrandungen, man wollte das Abenteuer Berg in die Stadt holen. Auböck zeigt die Persische Flügelnuss und den Japanischen Schnurbaum, unter dessen Geäst man sich verstecken kann.

Die Sorge um Umtriebe im Unterholz gab es schon in der Biedermeierzeit. "Es darf sich das dunkle Gelichter nicht verstecken können, keine Sträucher, nur Hochgrün", war das Motto, so Auböck. Inzwischen gibt es einen Paradigmenwechsel, wegen Corona, aber vorrangig wegen der Klimakrise. Spätestens im letzten heißen Sommer "sind alle aufgewacht", so Auböck. Eine andere Haltung ist gefordert, Asphaltwüsten haben in Parks nichts mehr verloren, es braucht neue Pflanzen und Budgets zur Umgestaltung.

Durchschnitten wird der Park von der Schweizer-Garten-Straße, hier parken auch heuer Touristenbusse. Unverkennbar aus den Fünfzigerjahren stammt die hübsche Plastik eines Zirkuselefanten, der hier auf dem Weg zur idyllischen Gastwirtschaft Klein Steiermark (steirische Küche, Wiener Spezialitäten, beschaulicher Gastgarten) herumturnt. Hinten im Park braust weit unten die S-Bahn Richtung Wien-Mitte, und zwar ziemlich spektakulär entlang eines Stücks vom Linienwall, jenem Verteidigungserdwall, den die Wiener Bevölkerung 1704 in nur vier Monaten errichten musste.

Hoppelnde Feldhasen

Was ist er heute alles, dieser Park? Das 20er Haus, der ehemalige Österreich-Pavillon der Weltausstellung 1958 heißt nun 21er Haus, den Skulpturengarten hat man untertags Richtung Park geöffnet.

Die Jugendlichen und die älteren Herren, die ihnen "Obdach geboten hatten" (rein aus Altruismus, versteht sich), sind nach mehreren Festnahmen auf beiden Seiten (sexueller Missbrauch von Jugendlichen, Einbruch, Diebstahl) 2018 angeblich weitergewandert.

Richtung Arsenal liegt der Kleingartenverein Landstraßer Gürtel samt hoppelnden Feldhasen. Im Objekt 1 des Arsenals gibt’s bei der Arsenalstuben ebenso zeitlos "Fleischpala mit Kartoffel und Sauce Tartare". Vor dem Heeresgeschichtlichen Museum steht, etwas bizarr, so ganz ohne Kontext seines Politikums, ein Saab 35 OE Draken herum. In der Artilleriehalle lässt sich die riesige Donausperrkette besichtigen, die einst in die Hände der Türken fiel, vor denen sie schützen sollte.

Frieden unter Eiben

Beim Tenniszentrum Arsenal schmiegen sich zig ziegelrote Tennisplätze ans ziegelrote Mauerwerk. Auf dem Weg zurück erhält hier der Park gerade seine eigene Miniskyline. Nebenan in der Hundezone macht jemand Klimmzüge. Gegenüber auf der Aurora-Bar auf dem Dach des Hotel Andaz eröffnet sich der Blick über ganz Wien, vom Gasometer, den Kränen des Sonnwendviertels bis zum Kahlenberg. Zu ebener Erde könnte man manchmal fast vergessen, wie riesig Wien inzwischen tatsächlich geworden ist.

Von oben sieht man: 114 Jahre später hat der Schweizergarten seine neuen Stadtteile bekommen. Und während Staaten zerbrachen, Bahnhöfe gingen und kamen, stehen ungerührt hundertjährige Eiben aus den 20er-Jahren und uralte Blätterdächer aus dem Maria-Josefa-Park hier, abgeschirmt von der Stadt wie ein Polster um das Arsenal liegt der Schweizergarten und wartet ab, was noch kommen wird. (Julia Pühringer, 2.9.2020)