Im Gastkommentar widmet sich der Tierethiker Kurt Remele der Frage, warum man Tiere überhaupt züchten und töten soll – der Mensch kann sich ja auch ohne Tiere gesund ernähren.

Kleine Kinder lieben junge Hunde. Und Eltern wollen, dass sich Kinder wohlfühlen. Deshalb schaffen sich Familien mit Kindern gerne Hundewelpen an. Doch junge Hunde werden älter und sind dann nicht mehr ganz so süß wie vorher. Außerdem fällt es manchen Familien schwer, jedes Mal aufs Neue zu entscheiden, was sie mit ihrem Hund tun sollen, wenn sie auf Urlaub fahren und das Tier nicht mitnehmen wollen. Sie fühlen sich häufig überfordert, einen geeigneten und kostengünstigen Platz für ihren Hund zu finden. Deshalb werden in den Sommerferien zahllose Heim- oder Kumpantiere ausgesetzt, nicht nur Hunde und Katzen, sondern auch Kaninchen, Hamster, Meerschweinchen und Schildkröten.

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Was ist der Unterschied zwischen "Heimtier" Hund und "Nutztier" Henne? Das eine landet im Körbchen, das andere auf dem Teller.
Foto: Getty Images

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Was Hunde betrifft, so gibt es in den USA inzwischen eine kreative Lösung, von der ich vor einiger Zeit aus einer Zeitschrift erfahren habe. Einige gewiefte Entrepreneure haben die urlaubsbedingte Notlage von Familien mit Hund als Marktlücke entdeckt und ein bemerkwertes Unternehmen namens Disposapup gegründet. Die Firma bietet folgende Dienstleistung an: Familien mit Kindern können bei Disposapup einen Hundewelpen käuflich erwerben. Als Kauftermin wird Ende der Sommerferien empfohlen. Gleichzeitig wird den Familien angeboten, ihren jungen Hund im Juli oder August des nächsten Jahres an die Firma zurückzugeben. Dort wird das Tier durch einen erfahrenen Veterinärmediziner weitgehend schmerzfrei eingeschläfert. Nach Ende ihres Urlaubs stellt Disposapup der gleichen Familie einen neuen Welpen zur Verfügung.

Glück gehabt ...

Einerseits haftet der Idee, junge Hunde umbringen zu lassen, um sich den Vorurlaubsstress zu ersparen, etwas Brutales, Grausames an, das die Tiere total instrumentalisiert und in ihrer Würde verletzt. Andererseits handelt es sich hierbei um eine typische Win-win-Situation. Es profitieren alle: Die Eltern profitieren, weil die nervenaufreibende Hektik, ein Tierheim oder einen Hundesitter zu finden, wegfällt. Die Kinder profitieren, weil sie jedes Jahr am Ende der Ferien einen süßen neuen Welpen geschenkt bekommen. Zudem erweitert sich ihr zoologisches Wissen, denn sie lernen möglicherweise jedes Jahr eine neue Hunderasse kennen. Die Firma Disposapup, ihr Management und ihre Angestellten profitieren, weil die Nachfrage nach ihrer Dienstleistung und damit auch der Firmengewinn und die Zahl der Arbeitsplätze steigen. Ja selbst die Hunde profitieren, weil die Gesamtzahl der Hundeleben kontinuierlich zunimmt. Zahlreiche Hunde würden ohne Disposapup gar nicht existieren. Dasselbe eigenartige Argument verwendet übrigens der deutsche Philosoph Norbert Hoerster, wenn er das Essen von Tieren rechtfertigt: "Menschen dürfen Tiere essen. Wenn der Mensch kein Interesse am Fleischverzehr hätte, würden die meisten Nutztiere gar nicht leben."

Wie man in Österreich vergleichsweise tiergerecht töten kann, hat Jonas Vogt im STANDARD in der Wochenendausgabe vom 29./30. August anschaulich dargestellt. Er beschreibt die Tötung von eineinhalb Jahre alten "Kalbinnen" im Schlachtraum eines Biohofs, eines halbindustriellen Schlachthofs, in dem man auf die Nöte der Rinder eingeht, und eine mobile Schlachtanlage, in der 276 Hühner "auf das Unvermeidliche" warten.

"Auf das Unvermeidliche"? Unvermeidlich ist das Schlachten von Hühnern, Rindern und Kälbern ebenso wenig wie das Umbringen junger Hunde. Die eigentlichen Gründe, warum Menschen bestimmte Tiere schlachten lassen und essen, sind kulturelle Gewohnheiten und kulinarische Geschmacksvorlieben, die man nicht hinterfragt und auf die man nicht verzichten will.

... Pech gehabt

Viele Menschen verdrängen die Tatsache, dass man sich in Mitteleuropa und weit darüber hinaus überaus gut, gesund und schmackhaft ernähren kann, ohne ein Tier zu essen. Im Fall der Welpen wird ein negativer Gefühlszustand, nämlich stressbedingte Überforderung vor dem Urlaubsantritt, als Rechtfertigung für die vorzeitige Tötung des Hundes genannt. Tatsächlich aber bedarf es keiner übermäßigen Anstrengung, einen Freund oder eine Tierpension zu finden, bei dem oder in der der eigene Hund einige Tage bleiben kann. Das Töten der jungen Hunde ist ebenso vermeidbar wie das Töten der Kälber, Rinder und Hühner. Beides sollte auch vermieden werden.

Es gibt allerdings zwei gewaltige Unterschiede zwischen den beiden geschilderten Fällen: Der erste besteht darin, dass wir Hunde als "Heimtiere" wahrnehmen, die einen Platz an unserer Seite haben: Glück gehabt. Kälber und Hühner dagegen etikettieren wir als "Nutztiere", die einen Platz auf unserem Teller haben: Pech gehabt. Der zweite Unterschied besteht darin, dass das Töten von Tieren in Großschlächtereien am laufenden Band geschieht, tagaus, tagein; in Schlachthäusern auf dem Hofgelände zumindest dann und wann. Disposapup dagegen existiert bisher nur in wissenschaftlichen Publikationen. Es handelt sich dabei um ein ethisches Gedankenexperiment des britischen Philosophen Michael Lockwood zum Thema Tiertötung. Im Unterschied zur fast immer äußerst schmerzvollen Praxis der Tierschlachtung ist die Firma Disposapup reine Fiktion und deshalb völlig schmerzfrei. (Kurt Remele, 4.9.2020)