Volksschulkind bei Gurgeltest in Wien: Ob ein positives Ergebnis für die ganze Klasse Quarantäne bedeutet, hängt vom Bundesland ab.

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Wien – Der Schulbesuch blieb ein kurzes Intermezzo. Drei Wochen nach Ferienende waren an einer Wiener Volksschule die ersten beiden Covid-19-Fälle, verteilt auf zwei Klassen, aufgetreten. Die Gesundheitsbehörde reagierte kompromisslos: Nicht nur die erkrankten Kinder, auch sämtliche Klassenkollegen wurden für volle zehn Tage in Quarantäne geschickt.

Zum Stress der Eltern, die nun Beruf, Homeschooling und Kinderbespaßung unter einen Hut bringen müssen, gesellt sich Enttäuschung. Schließlich hatte die Regierung Müttern und Vätern einen Hoffnungsschimmer in den vielzitierten schwierigen Herbst mitgegeben. Am 14. September verkündete das Gesundheitsministerium eine Lockerung der Quarantänevorschriften bis zur 5. Schulstufe: Kinder unter zehn Jahren müssen nun nicht mehr nach Hause geschickt werden, wenn in ihrer Kindergartengruppe oder Klasse ein Kollege an Corona erkrankt ist. Erst wenn die obligatorischen Tests einen zweiten Fall offenlegen, kommt die Quarantäne ins Spiel.

Besondere Strenge

Doch die Stadt Wien hat diese Empfehlung des Ministeriums nicht umgesetzt. Die Vorgangsweise in der genannten Volksschule ist kein Einzelfall, sondern die Regel, bestätigt ein Sprecher von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) auf Anfrage des STANDARD. Man prüfe die neue Vorgabe zwar, halte derzeit aber an der alten Methode – automatische Absonderung der ganzen Klasse – fest. Ein Grund für die besondere Strenge war nicht zu erfahren – ebenso wenig, ob und wann die Lockerung umgesetzt wird.

"Es gibt keine sachliche Begründung, die Vorgabe nicht umzusetzen", heißt es aus dem Büro von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne). "Wenn Wien im Erkrankungsfall auch bei unter Zehnjährigen die ganze Klasse absondert, dann ist das nicht in Ordnung." Die Empfehlung sei nicht nur "verbindlich", betont das Ministerium, sondern basiere auf wissenschaftlicher Evidenz.

Kinder weniger ansteckend

Diese liest Volker Strenger aus internationalen Studien heraus. Kinder hätten ein halb so hohes Infektionsrisiko wie Erwachsene und steckten auch weniger Menschen an, sagt der Kinderarzt und Chefinfektiologe der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde, die an der Direktive des Ministeriums mitgearbeitet hat: "Nur ein kleiner Teil der Fälle ist auf Schulen und Kindergärten zurückzuführen. Und wenn, waren es häufiger die Erwachsenen, die das Virus verbreitet haben." Es wäre deshalb vernünftig, die Lockerung einheitlich umzusetzen: "Eltern brauchen Planbarkeit statt Verunsicherung."

Alle anderen Bundesländer entsprechen offenbar diesem Wunsch. Ein Rundruf der Austria Presseagentur ergab, dass überall außerhalb Wiens die lockereren Regeln für Kinder unter zehn Jahren bereits umgesetzt werden. Auf Nachfrage relativiert Claudia Mark, Landesschulärztin für Tirol und Vorarlberg, allerdings. Prinzipiell werde der Empfehlung gefolgt, sagt sie: "Aber am Ende trifft die Behörde eine Einzelfallentscheidung."

Zerrissene Klassen

Wenn manche Schulkameraden zu einem erkrankten Kind besonders viel Kontakt hatten, etwa auch in der Freizeit, dann könne es sein, dass die Gesundheitsbehörde einen Teil einer Klasse in Quarantäne schickt und den anderen nicht. Genau das sei bei jenen Fällen in Tirol passiert, die Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) als Negativbeispiele für ein Durcheinander in den Behörden genannt hatte. Tatsächlich habe es aber sachliche Gründe gegeben, sagt Mark: Es mache einen Unterschied, ob Schüler regelmäßig gemeinsam mit dem Zug aus dem Umland in die Schule gefahren sind oder sich erst im Klassenzimmer treffen.

"Ich weiß, für Eltern ist es oft schwer nachvollziehbar, wenn manche Kinder in Quarantäne geschickt werden und andere nicht", sagt die Schulärztin. "Aber eine pauschale Regelung ist nicht realistisch. Die gibt das Leben nicht her." (Gerald John, 2.10.2020)