Einen PR-Besuch im Pflegeheim hatten Minister Anschober (Mitte) und Kanzler Kurz im Jänner rasch absolviert. Doch nun gilt es, schöne Versprechen in eine schwierige Reform zu gießen.

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Österreich setzt auf die billige Tour. Im westeuropäischen Vergleich lägen die Pflegeausgaben hierzulande im unteren Drittel, rechnet Ulrike Famira-Mühlberger vom Wirtschaftsforschungsinstitut vor. Skandinavische Staaten oder die Niederlande gäben heute schon Summen aus, die bei uns gemäß der Prognose erst 2050 erreicht würden.

Doch nun wird sich der Staat, der einen großen Teil der Pflegearbeit immer noch von Angehörigen erledigen lässt, nicht länger vor massiven Investitionen drücken können. Der Anteil der Menschen über 85 Jahren wird bis 2050 um das Zweieinhalb- bis Dreifache steigen. Die Kosten für Dienstleistungen in der Pflege sollen laut Wifo bereits in zehn Jahren um 80 Prozent angeschwollen sein. "Wir müssen künftig mehr Geld in die Hand nehmen", sagt Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne): "Anders wird es nicht gehen."

Damit die Millionen nicht ohne Plan und Ziel ausgeschüttet werden, hatte Anschober gleich nach Amtsantritt der türkis-grünen Regierung die Pflegereform als erstes Großprojekt ausgerufen. Dann kam die Corona-Pandemie. Doch jetzt will der Minister, wie er sagt, "Ernst machen".

Herkulesaufgabe an vielen Fronten

Rasch drängt sich da das Wort "Herkulesaufgabe" auf. Famira-Mühlberger, Mitglied der ins Leben gerufenen Reform-Taskforce, verwendet es, als sie die Entflechtung des föderalen Wirrwarrs im Pflegesystem empfiehlt. Das beginnt bei den Leistungen: Es sei kein Sinn darin zu erkennen, dass je nach Bundesland Pflegeheime nach unterschiedlichem Personalschlüssel ausgestattet sind oder Betroffene für die Inanspruchnahme von mobilen Diensten unterschiedlich viel zu bezahlen haben. An fehlender Kooperation scheitere allein schon die vermeintliche Selbstverständlichkeit, den Pflegebedarf in den einzelnen Gemeinden systematisch zu erheben, sagt die Expertin: "Man hätte es nicht für möglich gehalten, aber wir wissen darüber eigentlich nichts."

Entwirrt werden sollen auch die Finanzierungsströme, über die Bund, Länder und Gemeinden Geld hin und her schieben – "so ziemlich das Schwierigste, was man in einem föderalistischen System tun kann", sagt Anschober. Und dann ist da noch die Personalnot, von der Pflegeanbieter bereits heute ein Lied singen können. Der Minister rechnet bis 2030 mit einem Bedarf an 100.000 zusätzlichen Kräften, sieht darin aber auch eine Chance für Menschen, die nun in der Krise den Job verloren haben: Geplante Qualifizierungsmaßnahmen zielten genau auf diese Berufe ab.

Ohne Zuwanderer keine Pflege

Mit simpler Ausbildung werde es aber nicht getan sein, merkt Famira-Mühlberger an, Neueinsteiger oder Umschulungsteilnehmer bräuchten auch finanzielle Unterstützung, um ihre Unterhaltskosten stemmen zu können. Trotz aller Anstrengungen werde außerdem gelten: "Ohne Migration wird es bei der Rekrutierung des Pflegepersonals nicht gehen."

Nicht nur Fachleute sollen laut Anschobers Anspruch bei der Reform Pate stehen. Im Zuge einer im Sommer gestarteten Onlinebefragung haben 3.000 Bürger – Betroffene, Angehörige, Fachkräfte – ihre Wünsche deponiert. Brigitte Juraszovich von der Gesundheit Österreich GmbH, dem nationalen Forschungs- und Planungsinstitut für das Gesundheitswesen, leitet davon ein recht einheitliches Bild ab. Pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen lobten demnach das vielfältige Angebot und die Absicherung durch das Pflegegeld. Doch viele tappten eben auch im Dunkeln, weil es an übersichtlichen Informationen zu den Leistungen mangle.

Zu wenig Zeit fürs Reden

Natürlich sei auch die Einsamkeit ein großes Thema, was sich in den Antworten der Betreuungskräfte widerspiegelt: Viele bemängeln, dass es an Zeit fehle, um sich mit den betreuten Menschen über die eigentliche Pflege hinaus zu befassen.

Für 20. Oktober plant Anschober eine erste, große Veranstaltung, wo viele verschiedene Stimmen zu Wort kommen sollen, bis Anfang des kommenden Jahres soll weiter diskutiert werden. Im Februar werde die Regierung dann zur Tat schreiten, verspricht der Minister: "Um ein Pflegesystem aus einem Guss zu realisieren." (Gerald John, 5.10.2020)