Auf den ersten Blick könnte man glauben, in dem Gemeindebau in Penzing haben einfach enorm viele Leute Pizza bestellt. Das würde zumindest die übergroße Liefertasche von Andrea (Name geändert) erklären, die sie am Rücken trägt. Doch spätestens als die Fahrradkurierin vom Rad absteigt, wird klar, dass sie wohl kein Essen dabei hat. Die 29-Jährige stellt den klobigen Rucksack neben sich ab und streift Handschuhe, Maske und Brille über. Dann fischt sie ein DIN-A4-großes Kuvert heraus. Dort befinden sich alle Utensilien, die sie gleich brauchen wird, um den wartenden Corona-Verdachtsfällen ihren Test zu überbringen.

Andrea ist eine von derzeit 80 Fahrradkurieren der Firma Veloce, die im Auftrag der Stadt Wien den Gurgeltest zu jenen bringen, die als Corona-Verdachtsfälle in Quarantäne sitzen. Weitere 120 Kuriere sollen, zusätzlich zu den bereits vorhandenen 30 Autos der Blaulichtorganisationen, in den nächsten Wochen noch eingestellt werden. Die Komplettumstellung der Wiener Testlogistik war eine Reaktion auf die anhaltende Kritik an den langen Wartezeiten, bis jemand zur Testabnahme kommt. Nun läuft das Programm die erste Woche im Regelbetrieb.

Strenges Hygieneprotokoll

Nach einem kurzen Blick aufs Handy macht sich Andrea auf die Suche nach der richtigen Türnummer. In einer eigens konzipierten App erhalten die Kuriere die Adressen und Kontaktdaten der Testkandidaten. Bei großen Wohnanlagen kann es schon einmal vorkommen, dass die Kuriere die Tür nicht auf Anhieb finden. Doch anders als bei einer Essenslieferung kann man als Wartender auf den letzten Metern nicht entgegenkommen – immerhin sitzt man in behördlich angeordneter Quarantäne.

"Sie schauen ja aus wie eine Außerirdische!", entfährt es einer Frau auf dem Gang, als Andrea sich über die Stufen auf den Weg in ein höheres Stockwerk zu dem Mann macht, der auf seinen Test wartet. Für manche sieht der Aufzug in Radler- und Hygienemontur wohl zuerst etwas befremdlich aus. "Guten Tag, Veloce von 1450", sagt Andrea dann, als sie schließlich vor der passenden Wohnungstür steht. Und: "Dürfte ich Sie bitten, eine Maske aufzusetzen?" Diesen Satz wird die 29-Jährige heute noch einige Male wiederholen. Die Maske ist Teil des Protokolls. Ebenso wie die Vorschrift, dass man vor den Augen der Kuriere gurgeln muss.

Der Mann erhält eine kleine Tube mit Salzwasserlösung, die er sich nun in den Mund drückt. Dann heißt es sechzig Sekunden lang gurgeln. Andrea stoppt mit, dazwischen gibt es motivierende Worte. Kurz verschluckt er sich – unbedenklich, wird ihm nachher versichert. Anschließend nimmt er einen schwarzen Strohhalm und lässt die Flüssigkeit in ein kleines Fläschchen, das Andrea später in ein verschließbares Sackerl ("Safety Bag") geben wird.

Wie lange er jetzt auf das Ergebnis warten müsse? Das komme auf das Labor an, sagt Andrea. Aber vermutlich nicht länger als 48 Stunden. Bis jemand zum Testen kam, ging es recht schnell: Um acht in der Früh habe er angerufen, erzählt er. Jetzt ist später Nachmittag.

Selten komme es vor, dass die Person nicht zu Hause ist oder die Tür nicht öffnet, erzählt Andrea. Manchmal sind die Leute auch nicht nüchtern und haben davor etwas gegessen. Das meldet sie dann zurück an 1450.

Foto: Heribert Corn

Bessere Logistik

Innerhalb von 24 Stunden nach dem Anruf bei 1450 kommt jemand vorbei, so lautet die neue Angabe der Stadt Wien. Und die Wartezeit auf das Ergebnis sollte jetzt maximal 48 Stunden betragen, heißt es aus dem Büro von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ). Das "Testticket" muss man nach wie vor über die Gesundheitshotline 1450 lösen – und nicht direkt bei Veloce. In den letzten beiden Wochen gab es gut 86.000 Anrufe bei der Gesundheitshotline. Knapp 15.000 Aufträge für eine Testung sind daraus entstanden. Die Wartezeiten bei 1450 selbst haben sich verringert, heißt es: Letzte Woche habe die durchschnittliche Wartezeit für ein Abklärungsgespräch zwei Minuten und sechs Sekunden betragen.

Doch auch die Rückverfolgung der Infektionskette, das Contact-Tracing, ist entscheidend. Hier lag Wien mit einer Aufklärungsquote von 51 Prozent zuletzt unter dem Bundesschnitt. In der vergangenen Woche konnte man sich aber auf 61 Prozent steigern, sagt ein Sprecher von Hacker und dementiert damit einen Bericht der Kronen Zeitung, laut dem der Wert auf 17,2 Prozent gesunken sein soll. Der Wert von 61 Prozent würde auch in der heutigen Sitzung der Ampel-Kommission als Diskussionsgrundlage herangezogen werden.

Seit Wochen wird der Scheinwerfer besonders auf das Corona-Management der Bundeshauptstadt gerichtet. Das hat mit der anstehenden Wien-Wahl zu tun – aber gerade in den letzten Wochen auch damit, dass die Verwaltung der stark gestiegenen Nachfrage nach Tests nicht mehr nachkam. Für Hacker ist es deshalb von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit, dass die neue Testlogistik auch wirklich so reibungslos funktioniert, wie sie soll.

Erreicht werden soll das auch durch eine verbesserte Logistik bei der Verteilung der Aufträge. Diese werde durch die Zentrale gesteuert und über die App an die einzelnen Kuriere verteilt. Im Idealfall liegen die Adressen, die für die einzelnen Kuriere nacheinander anzusteuern sind, möglichst nahe beeinander.

Bis zu 30 Testkits liefert Botin Andrea pro Tag aus.
Foto: Heribert Corn

Wenn niemand zu Hause ist

Nachdem Andrea die Probe des Mannes in der Tasche verstaut hat, streift sie ihre Einweghandschuhe ab und greift als Erstes zum Desinfektionsgel. Die Verteilung funktioniert an diesem Nachmittag gut. Die nächsten drei Adressen muss sie nicht mit dem Rad ansteuern, sie sind zu Fuß erreichbar. Anfangs sei es schon vorgekommen, dass sie leere Kilometer gefahren ist, sagt die Kurierin. Aber das habe sich mittlerweile eingependelt. Und an ein paar Schrauben hat man auch gedreht: So liefern die Kuriere die Proben eigentlich am Ende ihrer Schicht selbst im Labor ab, und Testkitsnachschub holen sie selbst im Lager. Doch mittlerweile gibt es auch Autos, die die Fahrer, wenn nötig, von unterwegs versorgen.

Die Arbeitsbedingungen in der Zustellbranche sind oft prekär. Andrea ist nach dem Kollektivvertrag für Fahrradboten angestellt. Laut diesem stehen den Boten bei einer 40-Stundenwoche 1500 Euro brutto zu. Es gebe jedoch auch Prämien, sagt Veloce-Geschäftsführer Paul Brandstätter. Mit diesen könne man auf etwa 1.700 bis 1.800 Euro netto im Monat kommen. Darunter fallen etwa Prämien wie Gefahrenzulage wegen Covid, Anzahl der gelieferten Proben oder Kilometergeld. Wenn man, so wie Andrea, sein eigenes Fahrrad verwendet, steht einem laut Kollektivvertrag Kostenersatz zu.

Die Proben werden in einem verschließbaren "Safety-Bag" wieder mitgenommen.
Foto: Heribert Corn

Zwei Versuche

Der nächste Stopp ist 700 Meter entfernt. Mit Kopfhörern im Ohr lässt sich Andrea den Weg vom mit der App verknüpften Google Maps diktieren. Das läuft nicht immer optimal – im Gegensatz zu Radwege-Apps wird man von Google mitunter in Sackgassen geschickt. Hinter der nächsten Tür wartet ein kleiner Bub, der kein Deutsch spricht. Doch Englisch funktioniert, und nach kurzem Zögern auch das Gurgeln. Andrea hat auch Anleitungen in anderen Sprachen, etwa Türkisch und BKS, dabei. "Irgendwie funktioniert es immer", erzählt sie. "Manchmal halt mit Pantomime." Falls man das erste Mal Gurgeln vergeigt, bekommt man noch eine zweite Chance.

Aber der Bub schafft es auf Anhieb. "Wann er wieder in die Schule gehen dürfe?", fragt seine Mutter. Erst wenn die Quarantäne vorbei sei, erfährt sie. Und warum nur er, nicht aber seine Geschwister getestet werden? Da bleibt Andrea nichts anderes übrig, als auf 1450 zu verweisen. (Vanessa Gaigg, 8.10.2020)