Sie sind teils unbekannt, waren bereits in politischen Ämtern oder kämpften bisher in Vorfeldorganisationen. Fünf Kandidatinnen und Kandidaten jener Parteien, die es 2015 selbstständig in den Wiener Gemeinderat geschafft haben, begehen den Wahlkampf mit einem speziellen Thema. Es geht um die Gleichbehandlung von Homosexuellen, Frauenrechte oder Antirassismus. Aber auch die Jugend und der Sport werden vor der Wien-Wahl am 11. Oktober von Einzelpersonen gepusht.

Lukas Burian (Neos) tritt für queere Agenden ein.
Foto: Urban

Der nächste pinke Streifen im Regenbogen

Lukas Burian macht sich keine Illusionen: "Die Wahrscheinlichkeit, dass ich in den Gemeinderat komme, geht gegen null." Der 39-Jährige kandidiert auf Platz 26 für die Neos. Und er führt gerade einen "kleinen Vorzugsstimmenwahlkampf". Burian, schwul, selbsternannter "Werbefritze", will langfristig bei den Neos Wien etwas werden, für seine Community. Aus Burians Sicht liegt einiges im Argen: Regenbogenfahnen, die auf Demonstrationen zerrissen werden; beschädigte queere Vereinslokale; Angriffe auf Transgender-Personen. Burian ortet einen Trend: "Jetzt kommt der Backlash. Es ist immer so." Er glaubt, dass nach Errungenschaften wie der Ehe für alle der Kampf für Gleichberechtigung wieder schwieriger wird. Zwei Schritte vor, einer zurück.

Bei den Neos fühlt sich Burian mit solchen Ideen wohl. Er ist auch erst zur Partei gestoßen, als katholische Gegner von LGBT-Gleichberechtigung sie schon längst verlassen haben. Was nicht heißt, dass Burian vollständig glücklich mit der pinken Liste für die Wien-Wahl ist: Thomas Weber, aktuell Gemeinderat und wichtigster Vertreter queerer Anliegen bei der Wiener Landespartei, wurde nur auf den achten Listenplatz gewählt. Bei einem sehr guten Ergebnis erreichen die Neos sieben Mandate, das achte wäre ein Wunder. Das schmerzt, aber so will es das pinke Vorwahlsystem. Bei der nächsten Vorwahl soll es Burian halt einen realistischen Listenplatz bringen.

Laura Sachslehner kommt aus der JVP.
Foto: JVP/Elias Pargan

Türkise Jungpolitikerin für ihre Generation

Dass sie irgendwann bei der ÖVP aktiv sein würde, hätte Laura Sachslehner mit 15 oder mit 16 Jahren selbst nicht gedacht, sagt sie heute. "Mein jüngeres Ich wäre wohl schwer irritiert gewesen", blickt sie zurück. Aber da sei sie generell noch nicht besonders politisiert gewesen. Im Studium – Kultur- und Sozialanthropologie sowie Publizisitk – stieß die heute 26-Jährige dann auf die Junge ÖVP, damals noch unter dem Bundesobmann Sebastian Kurz. Und war begeistert.

Kurz ist heute Kanzler, und Sachslehner ist bei der Wien-Wahl für die ÖVP auf Platz zehn der Landesliste und Spitzenkandidatin für den Bezirk Landstraße. Und außerdem, seit 2017, Generalsekretärin der Jungen ÖVP. Ob sie das nach dem 11. Oktober noch bleiben wird, will sie jetzt nicht abschätzen. Ziel wäre, sagt Sachslehner, ein Grundmandat in Wien-Landstraße, "aber das ist keine gmah’de Wiesn".

Apropos Grünfläche und der Dritte: Was sie dort umsetzen würde, wäre etwa eine Belebung des Donaukanals. Der sei um die Erdberger Lände recht unattraktiv, sie wolle daher junge Leute anziehen – mit Spiel- und Sportmöglichkeiten, konsumfrei.

Bei der letzten Wien-Wahl punktete die ÖVP vor allem bei den über 60-Jährigen, heuer soll das anders sein. Man sei – auch Corona-bedingt – viel mehr ins Internet gegangen, habe interaktive und Video-Formate ausprobiert. Das soll Zuwächse bei den Jungen bringen, sagt Sachslehner.

Viktoria Spielmann (Grüne) fordert verstärkte Investitionen in den Gewaltschutz.
Foto: Anna Stöcher

Grüne für Feminismus und Regierungskritik

Vor neun Jahren wurde Viktoria Spielmann bei den Grünen und Alternativen Student_innen (Gras) aktiv, weil sie etwas gegen die Kürzung der Familienbeihilfe unternehmen wollte. Dort angekommen, begann die 33-Jährige, eines ihrer thematischen Steckenpferde zu entwickeln: "Ich war wohl schon immer Feministin", sagt sie. "Aber bei der Gras habe ich dann die Worte dafür gefunden, die mir zuvor gefehlt hatten."

Die Gras erkannte das politische Talent von Spielmann: Kurze Zeit später war sie in Wien und Teil des Vorsitzteams der Hochschülerschaft. In wenigen Tagen wird sie für die Grünen in den Wiener Gemeinderat einziehen. Politisch umsetzen möchte die Mitinitiatorin des zweiten Frauenvolksbegehrens verstärkte Investitionen in den Gewaltschutzbereich und eine Erhöhung des Frauenbudgets. Ebenso will sie sich weiterhin für eine Arbeitszeitverkürzung bei Stadtbetrieben einsetzen – das bringe schließlich vor allem Frauen Vorteile.

Spielmann gilt auch als Kritikerin innerhalb der eigenen Reihen. So stimmte sie etwa gegen die grüne Regierungsbeteiligung. "Besonders weh" tat der 33-Jährigen, dass das Frauenministerium an die ÖVP ging. Jetzt möchte sie den Schritt vom zivilgesellschaftlichen Engagement in die politische Verantwortungsposition wagen: um dort Vorbild für junge Frauen zu sein, die überlegen, sich politisch zu engagieren. So wie es Sigi Maurer damals für Spielmann war.

Nemanja "Nemo" Damnjanović vertritt die blauen Sportagenden (hier am Foto mit Simmerings Bezirksvorsteher Johann Stadler, rechts).
Foto: APA/HANS PUNZ

Blauer Sportsprecher kämpft um Wiedereinzug

Am Sportplatz gelten weder Herkunft noch soziale Situation oder Bildungsschicht, sondern nur die Freude an der gemeinsamen, körperlichen Betätigung." Dieser Satz stammt nicht aus einem rot-grünen Integrationsprogramm, sondern aus einer Aussendung des FPÖ-Politikers Nemanja "Nemo" Damnjanović. Der Freiheitliche sitzt seit 2015 im Gemeinderat und ist seit Dezember 2019 auch blauer Sportsprecher. Für Damnjanović ist der Sport nicht nur ein wichtiges Instrument für Integration. Gerade in der Corona-Krise habe sich auch gezeigt, "dass Sport das Wichtigste für die Gesundheit ist".

Damnjanović stammt aus dem heutigen Serbien, als 17-Jähriger war er Berufsfußballer bei Partizan Belgrad, im nahen Novi Sad hat er ab 1990 Sport studiert. Im Bürgerkrieg musste er nach eigenen Angaben als Soldat dienen. 1995 verließ er sein Heimatland in Richtung Österreich, er kickte etwa für den Wiener Sport-Club in der Regionalliga oder für Vorwärts Steyr. Der Liebe wegen, sagt Damnjanović, ist er dann in Wien geblieben.

Der ehemalige Schwimmlehrer und Versicherungsfachmann ist für die FPÖ ein wichtiges Bindeglied zur serbischen Community. Bei der Wien-Wahl ist Damnjanović auf Listenplatz 18. In seinem Bezirk Simmering ist er auf Rang drei: Er muss darauf hoffen, dass der erste und bislang einzige freiheitliche Bezirksvorsteher, Paul Stadler, seinen Platz verteidigt. Dann ginge sich ein Wiedereinzug für Damnjanović aus.

Mireille Ngosso (SPÖ) erlangte spätestens durch die Black-Lives-Matter-Proteste breite Bekanntheit.
Foto: Regine Hendrich

Mit Antirassimusprotest und den Roten ins Rathaus

Unbekannte ist sie in Wien keine: 2015 wurde Mireille Ngosso Bezirksrätin in der Inneren Stadt. Seit 2018 ist sie stellvertretende Bezirksvorsteherin der City. Sie ist die erste Afroösterreicherin, die es in der Hauptstadt in dieses politische Amt geschafft hat.

Bei der vergangenen Wien-Wahl war es eng im Ersten: Ngossos SPÖ lag 2015 nur 137 Stimmen hinter der erstplatzierten ÖVP. 2020 plante die Bezirksvize, als Spitzenkandidatin um Platz eins zu kämpfen. Doch die rote Bezirkspartei wählte sie nicht auf den ersten Listenplatz – dabei gab es keine Gegenkandidaten.

Nach der internen Krise erreichte die SPÖ-Politikerin aber als Aktivistin Bekanntheit. Die Ärztin organisierte mitten in der Pandemie die größte Demonstration, die seit Ausbruch der Coronavirus-Krise in der Hauptstadt stattgefunden hat: Zu ihrem Black-Lives-Matter-Protest kamen Anfang Juni mehr als 50.000 Teilnehmer. Nach dem Erfolg der Veranstaltung betonte Ngosso, sie wolle zwar in der SPÖ aktiv bleiben, sich aber auf die in Österreich aktive Antirassismusbewegung konzentrieren. "Jetzt ist der Moment da", erklärte die 40-Jährige. Und: Sie wolle "politischen Druck ausüben" und einen Aktionsplan gegen strukturellen Rassismus erarbeiten. Die Generationen vor ihr hätten ihr die Türe geöffnet, sonst "wäre ich heute nicht Politikerin", sagte Ngosso.

Wenige Tage später präsentierte die SPÖ Ngosso als Kandidatin für den Wiener Gemeinderat. Sie befindet sich auf Listenplatz 27. (Sebastian Fellner, Vanessa Gaigg, Oona Kroisleitner, David Krutzler, Gabriele Scherndl, 9.10.2020)