Es sagt eigentlich alles: Dass zwei Top-Politprofis es in einem Fernsehduell schaffen, sich an die Etikette der Höflichkeit zu halten, sorgte in nationalen wie internationalen Medien am Donnerstag für Schlagzeilen. Was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, ist in den USA des Aufwieglers und Angebers Donald Trump schon fast die Ausnahme. Die Spaltung der US-amerikanischen Gesellschaft und Politik spiegelt sich längst auch in den Manieren ihrer Spitzenpolitiker wider. Das Wahlvolk gerät dabei zu Statisten. Es geht schließlich um die Show.

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TV-Duell der US-Vizepräsidentschaftskandidaten Kamala Harris und Mike Pence.
Foto: REUTERS

Beim TV-Duell der US-Vizepräsidentschaftskandidaten Kamala Harris und Mike Pence war weniger die Show als zumindest die Spaltung allgegenwärtig. Harris sah unter dem erratischen Trump die Demokratie gefährdet, Pence unter dem "radikalen Sozialisten Biden" die Wirtschaft. Wie sein Chef bediente sich auch Pence der beliebten Strategie der Desinformation und Angstmache. Der Demokrat Biden werde am ersten Tag seiner Amtszeit die Steuern erhöhen, warnte US-Vizepräsident Pence. Oder er wiederholte die Mär von der betrugsanfälligen Briefwahl, die von keinen Studien bewiesen wurde. Und auch er wollte nicht garantieren, dass die Republikaner ein unerwünschtes Wahlergebnis auch akzeptieren werden. Nichts Neues also bei den beiden Stellvertretern. Eine richtige Diskussion kam indes nur beim Thema Corona-Management zustande, bei dem Harris deutlich das Versagen der US-Regierung und die Bedeutung eines funktionierenden Gesundheitssystems herausstreichen konnte.

Vorzeitige Machtübergabe

Bei einem zentralen Punkt wichen allerdings beide stur aus: Die Frage, ob sie bereit für eine potenzielle vorzeitige Machtübergabe wären. Kurz konnte man meinen, die politischen Gegner hätten sich bei diesem Thema gegen die Moderatorin verschworen. Für Pence wie für Harris besteht wegen Trumps Erkrankung und Bidens Alter die reelle Aussicht, in der nächsten Amtsperiode vorzeitig auf den Chefsessel nachzurücken. Das Duell war unter diesem Gesichtspunkt durchaus ein historisches. Augenscheinlich auch die Bemühungen der beiden, präsidial zu wirken, aber nicht zu vorlaut aus dem Schatten ihrer jeweiligen Chefs zu treten.

Aber sind die USA überhaupt reif für eine US-Präsidentin, gar für eine mit nichtweißer Hautfarbe? Die Umfragen nach der Debatte geben darauf zumindest einen Hinweis: Zwar fand eine satte Mehrheit der Zusehenden, dass Harris die Debatte eindeutig gewonnen und überzeugender und sympathischer gewirkt habe. Trotzdem hielten die meisten Pence für geeigneter, das erste Amt im Staat zu übernehmen.

Apropos geeignet: Zumindest der amtierende Präsident sorgte für Unterhaltung und nannte Harris ein "lügendes Monster". Wer sich jetzt schon auf das nächste Duell mit dem tobenden Trump freut, muss aus heutiger Sicht enttäuscht werden. Mit dem wegen seiner Corona-Erkrankung nun virtuell stattfindenden nächsten Duell will Trump seine "Zeit nicht verschwenden." Es geht schließlich um die Show. (Manuela Honsig-Erlenburg, 8.10.2020)