Elon Musk will uns zu Cyborgs machen.

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Künstlern, Musikern und anderen Kreativen dürfte es bekannt sein: das Gefühl, wenn der Kopf komplett von genialen Gedanken überflutet wird und nur der Sprachapparat zum Flaschenhals wird. So schnell, wie sich die Einfälle überschlagen, können die Worte gar nicht heraussprudeln. Und auch Hände können nur mit begrenzter Geschwindigkeit über Tastaturen und Klaviaturen laufen oder bunte Kärtchen auf Mindmaps kleben.

Die Lösung will wieder einmal Silicon Valleys Gottseibeiuns Elon Musk haben. Mit seinem Unternehmen Neuralink will er das Zeitalter einleiten, in dem Hirne untereinander oder mit Computern kommunizieren. Direkt, ohne den Umweg der Sprache. Ein in den Schädel gepflanztes Implantat soll Gedanken direkt auslesen und durch Stimulieren der Neuronen auch einlesen können. Verbunden mit dem Internet könne man permanent auf das gesamte Weltwissen zugreifen und die eigene Effizienz steigern, superintelligent werden. Das sei auch notwendig, schließlich komme bald die übermächtige KI, die uns sonst die Macht entreißt, wenn wir uns nicht neurologisch aufrüsten.

"Fitbit fürs Gehirn"

Zitat Elon Musk Ende. Der 49-Jährige spart bekanntlich nicht mit Ankündigungen, sei es eine bemannte Marsmission im Jahr 2024, ein unterirdisches Tunnelsystem für Las Vegas oder autonome Robotaxis, die eigentlich schon 2020 auf den Straßen unterwegs sein sollten. Und auch Neuralink, so Musks Versprechen 2017, sollte 2021 marktreif sein.

Eine Zusammenfassung der Neuralink-Präsentation Ende August.
CNET

Nun, 2020 neigt sich dem Ende zu, und immerhin sind wir schon beim Neuralink für Schweine. Zumindest ein bisschen. Denn der Einblick in das schweinische Hirn beschränkt sich auf grüne Punkte auf einem schwarzen Bildschirm und ein Piepsen, das ausgelöst wird, wenn "Gertrudes" Schnauze aus der Hand der Neuralink-Mitarbeiterin frisst.

Eine "Fitbit fürs Gehirn" soll Neuralink laut Musk sein. Nur: Die Smartwatch lässt sich einfach an- und ablegen, eine Gehirnoperation könnte wohl einige abschrecken. Musk hat dafür einen Roboter parat, der die Neuralink-Einpflanzung (bei Menschen) so "automatisiert wie möglich" und etwa in einer Stunde durchführen soll. In wenigen Jahren soll das ganze Prozedere so viel kosten wie eine Augenlaserbehandlung, also um die 1000 Euro. Ansonsten pries Musk Ende August vor allem die Vorteile für Querschnittsgelähmte an. Vom "Superhirn" war zunächst keine Rede. Erst die Publikumsfrage, ob man mit dem Ding denn auch Gedanken abspeichern und später wieder einspielen könne, bejahte er.

Diese Maschine soll Menschen künftig fast vollautomatisiert Hirnimplantate einsetzen.
Foto: WOKE STUDIOS / NEURALINK

Wenig neues

Verkalkuliert sich Musk da wieder mal bei seiner Prognose? Oder sollen wir lieber ruhig sein gegenüber einem Mann, dessen einst belächeltes Weltraumunternehmen bereits Menschen ins All bringt? Dem Autobauer, der auf die einst unausgereifte Elektroantrieb setzte und jetzt an der Börse den altehrwürdigen VW-Konzern um Längen überholt hat?

"Für mich klingt das so, als ob Herr Musk da deutlich zu optimistisch ist", sagt Michael Tangermann. Er leitet das Brain State Decoding Lab an der Universität Freiburg. Brain-Computer-Interfaces, kurz BCI, sind schon lange keine Neuheit mehr und werden seit den 1980er-Jahren beforscht. Das Schweineexperiment von Neuralink habe Tangersmanns Institut in ähnlicher Form bereits mit Schafen durchgeführt.

Auch menschlichen Patienten wurde in einigen Pilotprojekten bereits mit BCI geholfen. Was bereits funktioniere, sei das Auslesen von Bewegungsabsichten. Gelähmte Personen können mit Gedankenkraft etwa Roboterarme bewegen, momentan arbeite man daran, auch einzelne Finger anzusteuern.

Gefühle sind noch unverstanden

Noch ziemlich unverstanden ist die Gegenrichtung – also wie das Hirn auf Stimulation von außen reagiert. Kribbeln an einzelnen Körperteilen könne man bereits erzeugen. "Ein Prothesenträger möchte aber auch genau fühlen, was an der Fingerspitze passiert", sagt Tangermann.

Bewegungen, Sinneseindrücke – das sind alles Informationen, die nahe am In- oder Output liegen und deshalb vergleichsweise einfach abgreifbar sind. Ganz anders als die Prozesse, die in unserem Hirn bleiben – die Gedanken. In Sachen Bandbreite und Empfindlichkeit seien heutige BCI-Systeme noch weit davon entfernt, etwa vorgestellte Wörter verschriftlichen zu können, wie es ein Facebook-Projekt verspricht.

Falsche Hoffnungen

"In unserem Hirn flitzen außerdem Signale hin und her, weil wir bestimmte Handlungen im Kopf durchgehen", sagt Tangermann. Dieses Probehandeln sei von wirklich gewollten Aktionen schwer zu unterscheiden. Der Wissenschafter hält es jedenfalls für ethisch fragwürdig, beim aktuellen Stand der Forschung "durch eine Demonstration wie jene von Neuralink Patienten vielleicht unbegründete Hoffnungen zu machen."

Vom heutigen Stand aus gesehen hat Neuralink nicht weniger als eine Revolution vor. Sollte das klappen, wäre die Welt eine andere. Würden wir verstummen, wenn Sprache überflüssig wird? Wie schützen wir uns gegen Hackerangriffe? Halten wir es aus, das gesamte Wissen in uns zu tragen, wenn manche schon jetzt auf Smartphone-Detox gehen? Es ist eine Welt, die man sich wohl kaum vorstellen kann. Und nicht muss. Noch nicht. Bis dahin muss noch viel Hirnschmalz in Forschung fließen. Und zwar ganz analog. (Philip Pramer, 13.10.2020)