Nicht nur viele neue Windräder, auch Solaranlagen und Biomasseanlagen und Kleinwasserkraftwerke sind zu errichten, um den Strombedarf in Österreich bis 2030 zu 100 Prozent aus erneuerbarer Energie decken zu können.

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Der Umbau des Energiesystems wird sich auch im Landschaftsbild nachhaltig niederschlagen. Um den Strombedarf 2030 bilanziell zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen zu schaffen, müssen viele neue Windräder, Solaranlagen auf Dächern und Wiesen dazugebaut werden, Wasserkraftwerke auch. Ob die Rechnung aufgehe, hänge entscheidend von der Akzeptanz der Bevölkerung ab, sind sich Energie- und Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) sowie der Präsident von Österreichs Energie, der designierte Verbund-Chef Michael Strugl, einig.

Dissonanzen werden dort sichtbar, wo es ans Eingemachte geht. Gewessler sieht in den Energiegemeinschaften als Teil des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes (EAG) den entscheidenden Hebel, die Akzeptanz in der Bevölkerung für die Energiewende zu steigern. "Das beste Gesetz nützt nichts, wenn die Bevölkerung nicht mitzieht", sagte Gewessler im Doppelinterview mit Strugl. "Mir war bei den Energiegemeinschaften wichtig, einen mutigen Ansatz zu wählen und neben lokalen auch regionale Gemeinschaften zuzulassen. Wenn Bürger selbst Strom erzeugen, verbrauchen und mit anderen teilen können, bedeutet das viel für die Akzeptanz dieses gesellschaftliche Großprojekts Energiewende."

Leonore Gewessler (Grüne), Ministerin für Klimaschutz und Energie.
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Begünstigte Ortsnetztarife, dazu die Befreiung von der Ökostromumlage und der Elektrizitätsabgabe sollen in den kommenden Jahren möglichst viele Energiegemeinschaften in Österreich entstehen lassen.

Strugl, der vor seiner Berufung in den Verbund-Vorstand Wirtschaftslandesrat in Oberösterreich war (für die ÖVP) und das politische Parkett daher bestens kennt, findet Energiegemeinschaften im Prinzip gut. "Die Frage ist, wie weit das gehen soll. Wir sind der Meinung, Energiegemeinschaften sollten auf die lokale Ebene beschränkt bleiben", sagt Strugl und bringt die Versorgungssicherheit ins Spiel. Regionale Energiegemeinschaften müssten dann auch Verantwortung tragen und mit Ausgleichsenergie für die Stabilität des Stromnetzes sorgen.

Versorgungssicherheit habe auch für sie oberste Priorität, sagt Gewessler. Energiegemeinschaften sollen darüber hinaus zumindest in der Anfangsphase begleitet und unterstützt werden. "Das ist ja für alle Beteiligten Neuland", sagt Gewessler. Das Expertenwissen gebe es dezentral in den diversen Energieagenturen, aber auch zentral im Klima- und Energiefonds. Unterstützungsmittel stünden bereit.

Michael Strugl, Präsident von Österreichs Energie
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Quasi als positiver Nebeneffekt würden dadurch auch Flächen mobilisiert, an die man sonst nicht so rasch und leicht käme: auf dem Dach der Feuerwehr auf dem Land, auf überdachten Parkplätzen in der Stadt, auf Fertigungshallen in der Region.

Strugl sieht "theoretisch auch eine Möglichkeit", dass arrivierte Energieversorger Energiegemeinschaften managen. "Deshalb geht der Vorwurf ins Leere, wir würden uns sträuben, weil wir keine zusätzlichen Player am Markt haben wollen", sagt Strugl. "Was wir wollen, sind transparente und faire Spielregeln." Im Namen der Branche hoffe er, dass an einigen Stellschrauben des Gesetzes nach Ende der Begutachtung (28. Oktober) noch gedreht werde. Dazu gehöre die Bestimmung, dass Kleinwasserkraftwerke schon zwei Jahre nach Förderzusage ans Netz müssen. Das sei schlicht nicht möglich, sagt der Präsident von Österreichs Energie. Fünf bis sechs Jahre seien realistisch.

Ende des Investitionsstaus

Jedenfalls ist absehbar, dass sich nach Beschlussfassung des EAG im Nationalrat und nach Inkrafttreten desselben am 1. Jänner 2021 der Investitionsstau auflöst. Nach Berechnungen von Österreichs Energie, dem Interessenverband von Österreichs Stromerzeugern, sind bis 2030 Investitionen in Höhe von rund 25 Milliarden Euro notwendig, um die bis zum Ende der Dekade benötigten zusätzlichen 27 Milliarden Kilowattstunden (kWh) an sauberem Strom zu erzeugen. Dazu kommen noch etwa 18 Milliarden Euro für den parallel erforderlichen Ausbau bzw. die Erneuerung der Netzinfrastruktur.

Sowohl Strugl als auch Gewessler gehen davon aus, dass das Vorhaben, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu beschleunigen, ein Konjunkturhebel ist. Einmal mehr mahnt Strugl eine Verfahrensbeschleunigung ein. Wenn sich Projekte wie die Salzburg-Leitung zur Schließung des Höchstspannungsrings in Österreich zig Jahre verzögerten, führe das zu einer Kostenexplosion.

"Wir haben alle Interesse an guten, effizienten und ordentlichen Verfahren, die die Rechte der Bürger und Anrainer und des Umweltschutzes wahren", sagt die Ministerin. Pauschal zu sagen, es laufe schlecht, stimme nicht. Eine bessere Ausstattung der Behörden mit Sachverständigen sei sicher etwas, das man sich genauer ansehe. Es gebe viele Hebel, wie man das besser hinbekomme, sagt Gewessler. (Günther Strobl, 13.10.2020)