Michael Ludwig bekam etwa 15.000 Vorzugsstimmen.

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Sein Ziel war es immer, sagte Michael Ludwig (SPÖ), nachdem am Sonntag das vorläufige Wiener Wahlergebnis da war, "das Ergebnis meines Amtsvorgängers zu erreichen". Und: "So wie es aussieht, werde ich das vielleicht sogar übertreffen." Darum sei er zufrieden.

Das SPÖ-Ergebnis hielt den Hochrechnungen stand: Mit einem Plus von zwei Prozentpunkten im Vergleich zur Gemeinderatswahl 2015 kommt sie auf 41,6 Prozent und ist damit klarer Wahlsieger. Doch so ganz stimmt das trotzdem nicht, was Ludwig da sagte.

Tatsächlich wählten die SPÖ heuer zigtausende Menschen weniger als noch 2015 unter Amtsvorgänger Michael Häupl. Im Jahr 2015 machten noch fast 330.000 Wienerinnen und Wiener ihr Kreuz bei den Roten, am vergangenen Sonntag nur knapp über 300.000. Die FPÖ wählten gut 200.000 Personen weniger als noch 2015, Neos, ÖVP und Grüne verzeichnen in Prozent wie auch in einzelnen Stimmen ein Plus. Die SPÖ ist damit die einzige Wien-weit angetretene Partei, die zwar prozentuell zulegte, aber nicht, was abgegebene Einzelstimmen angeht.

Deutlich weniger Vorzugsstimmen für Ludwig als für Häupl

Zu tun hat dieses Phänomen mit zweierlei: Erstens waren heuer 10.000 Menschen weniger wahlberechtigt als noch 2015, zweitens sank die Wahlbeteiligung: Knapp 740.000 Stimmen wurden abgegeben, um 100.000 weniger als bei der letzten Gemeinderatswahl. So verteilten sich weniger Stimmen auf die Parteien, und von diesen wenigen Stimmen entfiel eben ein 42 Prozent großer Anteil auf die SPÖ.

Übrigens: Amtsvorgänger Häupl kam 2015 auf gut 24.000 Vorzugsstimmen, Bürgermeister Ludwig heuer auf 15.000. Gernot Blümel (ÖVP) kam auf gut 11.000 Stimmen, Birgit Hebein (Grüne) auf etwa 7.000, Dominik Nepp (FPÖ) auf fast 4.000 und Christoph Wiederkehr (Neos) auf gut 3.000. Heinz-Christian Strache (THC) bekam etwa 2.600 Vorzugsstimmen.

Keine Schlussmobilisierung

Zurück zum Wahltag. Als um 17 Uhr die erste Wahlprognose kam – sie basierte auf der Befragung von 4.000 Personen in den Tagen vor der Wahl –, war doch recht überraschend, dass die ÖVP nur auf 17,5 Prozent kommen würde. Das waren zwar immer noch um etwa acht Prozentpunkte mehr wie bei der letzten Wien-Wahl, aber doch deutlich weniger als in Umfragen zuvor angenommen. Und deutlich weniger, als sie tatsächlich bekam – nämlich über 20 Prozent.

Die 17-Uhr-Prognose lag bei SPÖ und Grünen näher am Endergebnis als die Urnenwahlauszählung. Die FPÖ wurde massiv überschätzt, ÖVP und Sonstige unterschätzt.
Grafik: mcmt

Umgekehrt war das bei der FPÖ der Fall. Die wurde am Wahlabend bei zehn Prozent eingeschätzt, mittlerweile weiß man: Sie bekam nur 7,1. Damit gingen die Unterschiede sogar über die am Wahlabend angegebene Schwankungsbreite von 2,5 Prozent hinaus. Was war da los?

Christoph Hofinger von Sora war an der Prognose beteiligt. Im Nachhinein, so sagt er zum STANDARD, hätte man die Schwankungsbreite wohl höher ansetzen sollen. Denn was man unterschätzt hatte, war, "dass es Last-Minute-Entscheidungen von FPÖ-Wählern gegeben hat, entweder nicht wählen zu gehen oder doch die ÖVP zu wählen".

Und: Man fragte bei den Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmern auch die Erinnerung an die letzte Nationalratswahl ab. Da gaben einige an, die FPÖ gewählt zu haben. Sie dürften sich entweder falsch erinnert haben, sagt Hofinger, oder man sei in zu vielen Fällen davon ausgegangen, dass sie deswegen noch einmal die Blauen wählen würden. So oder so gab es offenbar, so Hofinger, "absolut keine Schlussmobilisierung" bei der FPÖ, was einerseits Stimmen kostete, andererseits die Prognose verzerrte. (Gabriele Scherndl, 14.10.2020)