ÖVP-Klubobmann August Wöginger und Grünen-Klubchefn Sigrid Maurer haben mit ihren Abgeordneten eine hauchdünne Mehrheit im Hauptausschuss des Nationalrats

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Viele Einschnitte in unser aller Leben, die für den November-Lockdown kolportiert werden, ähneln jenen des ersten Lockdowns im Frühling. Beim politischen Prozedere zur Verhängung der Beschränkungen muss diesmal allerdings eine Institution zustimmen, der diese Rolle vor einem halben Jahr noch nicht zukam: der Hauptausschuss des Nationalrats. Wenn in den kommenden Tagen von der "Einbindung des Parlaments" die Rede sein wird, so ist eben dieser Hauptausschuss gemeint.

Die konkreten Lockdown-Verordnungen erlässt nach wie vor Gesundheitsminister Rudolf Anschober, doch der Hauptausschuss muss die Verordnungen nun absegnen. Sie "bedürfen des Einvernehmens mit dem Hauptausschuss des Nationalrats", wie es im Covid-Maßnahmengesetz heißt. Die Passage wurde erst im September in das Gesetz eingefügt – zu einer Zeit als die Regierung noch beteuerte, es werde keinen zweiten Lockdown geben. Beim Beschluss der Gesetzesnovelle pries die türkis-grüne Koalition die verpflichtende Mitwirkung des Hauptausschusses als ein Zugehen auf die Opposition; die SPÖ – die dem Gesetz zustimmte – reklamierte die Mitwirkung des Hauptausschusses als Verhandlungserfolg für sich.

Türkis-grüne Mehrheit reicht

Ein Blick auf die Mehrheitsverhältnisse im Hauptausschuss zeigt allerdings, dass die Opposition dort real machtlos ist, wenn es um den Einfluss auf Verordnungen geht. Denn im Hauptausschuss spiegeln sich die Mehrheitsverhältnisse der Fraktionen des Nationalrats. Konkret hat die ÖVP 9 Sitze, die SPÖ stellt 5, die FPÖ 4, die Grünen 3 und die Neos 2 Abgeordnete. Damit hat also die türkis-grüne Regierung 12 Stimmen, die rot-blau-pinke Opposition nur 11. Da eine einfache Mehrheit ausreicht, braucht die Regierung die Opposition rechnerisch folglich nicht.

Eine Stimmengleichheit würde allerdings als Ablehnung gewertet, die Regierungsmehrheit ist daher – mit nur einem Sitz mehr – denkbar knapp. Um dieses Risiko auszuschließen wird sich die Koalition bemühen, SPÖ oder Neos mit ins Boot zu holen. Die FPÖ hat eine Zustimmung schon von vornherein ausgeschlossen, Klubchef Herbert Kickl attestiert dem Hauptausschuss "lediglich eine Feigenblatt-Funktion" für die ÖVP. SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner und Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger werden am Samstagvormittag in einer gemeinsamen Pressekonferenz ihre Bedingungen für eine mögliche Zustimmung darlegen.

Ausgangbeschränkungen alle zehn Tage neu

Sollte der Lockdown einen Monat lang dauern, wird der Hauptausschuss im November jedenfalls drei Mal zustimmen müssen, denn eine Verordnung Anschobers zu (nächtlichen) Ausgangsbeschränkungen währt laut Gesetz höchstens zehn Tage lang. Eine neue zehntägige Verordnung über Ausgangsbeschränkungen bräuchte wieder das Einvernehmen mit dem Hauptausschuss. Verordnungen über Betretungsverbote von Betriebsstätten oder bestimmten Orten können hingegen bis zu vier Wochen gelten – hier reicht für den November eine einmalige Zustimmung des Hauptausschusses.

Wenn es die Regierung mit dem Lockdown besonders eilig hat, könnte es sein, dass die Parlamentarier des Hauptausschusses die Verordnungen erst bis zu vier Tage nach der Kundmachung behandeln dürfen. Bei "Gefahr in Verzug" erlaubt das Covid-Maßnahmengesetz eine solche nachträgliche Absegnung. Damit es sich noch davor ausgeht, müsste der Hauptausschuss möglichst schnell einberufen werden, dafür ist dessen Obmann zuständig: Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka. Seine Vertreter beim Vorsitz im Hauptausschuss sind Doris Bures (SPÖ), Norbert Hofer (FPÖ) und Peter Haubner (ÖVP). Als wahrscheinlicher Termin gilt der Sonntagnachmittag.

Mitsprache bei hochrangigen Posten

Generell entsenden die Fraktionen stets ihre gewichtigsten Abgeordneten in den Hauptausschuss – so sind alle Klubobleute dort vertreten. (Hier eine Liste der Mitglieder). Von den über 60 Ausschüssen des Parlaments ist der Hauptausschuss des Nationalrats wohl der Bedeutendste, seine Existenz ist schon in der Verfassung festgeschrieben. Seine enge Verzahnung mit der Regierungsarbeit ist nicht nur durch die Mitwirkung an Verordnungen gegeben, sondern auch bei der Besetzung hochrangiger Posten.

Er macht etwa Vorschläge für das Amt des Rechnungshofpräsidenten, die Volksanwälte sowie die österreichischen Richter am Europäischen Gerichtshof. Auch bei der Entsendung österreichischer EU-Kommissare hat der Hauptausschuss ein Wörtchen mitzureden, das bekam 2019 Karoline Edtstadler (ÖVP) besonders zu spüren, sie war die Wunschkandidatin der türkis-blauen Regierung für Brüssel. Kurz vor der Entscheidung platzte jedoch wegen Ibiza die Koalition und die FPÖ wollte von Edtstadler als Kommissarin nichts mehr wissen – schlussendlich wurde wieder Johannes Hahn geschickt. Mittlerweile ist Edtstadler in der Regierung Kanzleramtsministerin und in ihre Verantwortung fällt auch der Verfassungsdienst. Der wird nun ein genaues Auge darauf werfen, ob die Lockdown-Verordnungen rechtmäßig sind. Im Frühling war dem ja nicht so. (Theo Anders, 31.10. 2020)