On- und offline aktiv: Der Verein Viva la Vulva gibt jungen Frauen eine Plattform, auf der Schamgefühle ab- und Selbstbewusstsein aufgebaut werden soll.

Foto: Heribert Corn

Ein junger Mann, der es sich auf der Wiese am Maria-Theresien-Platz gemütlich gemacht hat, beobachtet das Treiben interessiert. Vier Frauen wühlen in Jutebeuteln und ziehen ein paar selbstgebastelte Vulvas heraus, posieren mit ihnen für den Fotografen. Irgendwann räumt der junge Mann von selbst unter freundlichem Grinsen das Schussfeld und macht Platz für die Damen. Wenn’s nur sonst so einfach wäre, für Feminismus ein bisschen mehr Raum zu bekommen!

Die vier Frauen gehören zu dem Kollektiv Viva la Vulva – und wollen genau das: Raum für Feminismus, und zwar für einen lustvollen. 2018 gründeten Ana Badhofer (22) und Sofia Surma (22) die Meinungsplattform Viva la Vulva für "Freiheit, Selbstbestimmung und Pussy-Positivity", wie es auf ihrem Blog heißt.

Vulva statt Vagina

Wie viele gute Ideen entstand auch diese im Rausch. Ein bisschen Alkohol hat es nämlich schon gebraucht, damit eine Gruppe Freundinnen beim Vorglühen auf tabuisierte Themen wie Pornokonsum, Masturbation und Menstruation zu sprechen kam. Auch in der jungen Generation, zu der die Frauen gehören, sei es keinesfalls gang und gäbe sich darüber auszutauschen, was unter der eigenen Gürtellinie passiert. Viele würden sich nicht trauen, über ihre Körper, über ihre Vorlieben beim Sex, generell über weibliche Lust zu reden. Oft glauben sie mit ihren Wünschen und Problemen völlig allein dazustehen, nicht "normal" zu sein. Niemand will Opfer von Slut-Shaming werden. Nicht nur Männer betreiben es, auch junge Frauen lästern über andere, deren Rock zu kurz ist, die mit "zu vielen Männern" geschlafen hätten.

Je lockerer der Zungenschlag beim Vorglühen wurde, desto mehr wuchs auch das Gefühl, dass irgendetwas falsch läuft – und zwar schon bei der Aufklärung in der Schule. Das zeigt sich bereits beim Vokabular: Von der Vagina, der Scheide, sei zwar des Öfteren die Rede, aber vor allem "weil dort der Mann seinen Penis einführen kann", so Marie Salzmann (28). Überhaupt gehe es vor allem um die Lust des Mannes. Weibliche Orgasmen? Davon haben die vier Frauen in der Schule nichts gehört. Deswegen wurde auch der Name Viva la Vulva gewählt: Die Vulva schließt Klitoris, Lippen und den Venushügel mit ein. Auf Deutsch zeigt die Bezeichnung "Scham" für die Vulva recht gut, was man als Frau vor allem mit ihr tun soll: sich dafür schämen.

Manifest

Damit soll Schluss sein, befanden Badhofer und Surma. Noch in der feuchtfröhlichen Nacht schrieben sie ein Manifest für ihr zu gründendes Kollektiv. Das soll nicht nur das Bewusstsein für den eigenen Körper schärfen, sondern auch politische Ziele verfolgen, wie zum Beispiel die Senkung der Tamponsteuer. "Frauen suchen sich nicht aus, ob sie bluten wollen oder nicht. Wenn Hygieneprodukte wie ein Luxus besteuert werden, teurer als Kaviar, ist das doch nicht normal!", sagt Surma.

Viva la Vulva will bessere Aufklärung über Sexualität an den Schulen. Oder dass die Fristenlösung abgeschafft wird. Vor allem aber will der Verein junge Frauen an diese Themen heranführen, indem er on- und offline verschiedene Hebel betätigt. Die Website gibt Gastautorinnen die Möglichkeit, sich zu feministischen Themen zu äußern. Via Instagram, wo sich viele junge Frauen tummeln, wolle man dieser Zielgruppe einen "Gegenpol zu den dort vorherrschenden Illusionen von Körper- und Rollenbildern" bereitstellen, so Badhofer.

Konservativer Backlash

Dazu veranstaltet der Verein Workshops, bei denen in kleiner Gruppe aus allen möglichen Materialien jene Vulven, die man auch auf dem Foto sieht, gebastelt werden. Beim Format "Bloody Brunch" beantworten Expertinnen die Fragen junger Frauen zu Menstruation, und beim Vulva-Watching betrachtet eine Frau ihre Vulva mittels Spiegel, während die anderen dabei zusehen. "Es geht dabei darum, zu sehen, wie natürlich das ist und wie unterschiedlich die Vulven jeder einzelnen Frau aussehen", erklärt Badhofer. Klingt vielleicht ein bisschen ungewöhnlich, ergibt aber Sinn: Männer sehen die Penisse anderer Männer ja auch, sei es beim Urinieren auf öffentlichen Toiletten oder in der Dusche nach dem Sport. Dadurch lernen sie früh, wie unterschiedlich Körper aussehen.

Als Viva la Vulva 2018 startete, gab es zwar schon einige neue feministische Gruppierungen in Wien, wie das Karrierenetzwerk The Sorority, das Business Riot und sein kulturell ausgerichtetes Schwesternfestival Rrriot, das Team ums Frauenvolksbegehren 2.0 oder die Burschenschaft Hysteria, dennoch fehlte Viva la Vulva ein Kollektiv, das sich mit dem körperlichen Aspekt von Feminismus auseinandersetzt.

Tabus aus dem Kopf

Alle vier Frauen, auch die jüngste von ihnen, Sophie Zanelli (19), hatten schon früh das Gefühl, dass Gleichberechtigung nur eines ist: ein Märchen. "Je älter ich geworden bin, desto bewusster ist mir geworden, dass mein soziales Umfeld mir gewisse Aufgaben nicht zutraut, die meinem Zwillingsbruder sehr wohl zugetraut werden. Richtig deutlich ist das geworden, als ich angefangen habe, Sex zu haben. Zuvor wurde einem als Frau eingebläut, dass Sex etwas Besonderes ist, für das man sich aufsparen muss und so weiter. Ich begann dann, diese gesellschaftlichen Normen zu hinterfragen", sagt Zanelli.

Badhofer gibt zu, dass sie sehr lange geglaubt habe, dass die großen feministischen Kämpfe der Vergangenheit angehörten, dass alles schon gleich für alle sei. Aber dann kam das Erwachen. "Es erschreckt mich bis heute, wie tief diese Normen auch in mir drinnen sitzen und wie stark ich daran arbeiten muss, diese Tabus aus meinem Kopf rauszubekommen." Diese Arbeit kann Viva la Vulva jungen Frauen nicht abnehmen, aber das Kollektiv würde ihnen gerne Lust darauf machen. (Amira Ben Saoud, 3.11.2020)