Es gibt sie noch, die guten alten Fahrradunfälle: Man rast zu einer Burgtheaterpremiere, ist mit den Gedanken woanders, bewundert die letzten Rosen im Volksgarten – und rumms, schon liegt man mit dem Kopf auf dem Asphalt. Aus dieser Perspektive erscheint alles groß und übermächtig. Zum Beispiel die schwarzen Boots, die jetzt vor einem stehen. Und diese entschlossene Stimme: "Haben Sie sich verletzt? Brauchen Sie Hilfe?"

Mit Müh und Not setzt man sich auf. Jetzt bloß keine Rettung, denkt man, wer will schon den Rest des Abends mit keuchenden Patienten in einer Ambulanz absitzen. Und dann erblickt man ihn, diesen baumlangen Ritter. Seine schulterlangen Locken unter der Kappe leuchten im goldenen Abendlicht. Ein Bulle! Der Mann, der aussieht wie ein schottischer Landlord, ist Polizist und regelt gerade den Verkehr.

Gott ist groß

Zwei Tage später. "Du hast einem Bullen deine Nummer gegeben?!", fragt mein Freund, der Musiker, und pfeift durch die Zähne. "Ts-ts-ts ..." – Inzwischen trägt der Gute zwar Samtsakkos und zahlt brav seine Steuern, aber in den Nullerjahren lebte er in der Hausbesetzerszene. – "Na und", sage ich trotzig. "Ob du es glaubst oder nicht, da waren Himmelsmächte im Spiel." – In Wirklichkeit hat mich mein Mut längst wieder verlassen: "Falls es bei einem Kaffee immer noch funkt, frage ich mich allerdings, wie es danach weitergehen soll."

Im Grunde, erkläre ich schwarzmalerisch, ist so eine Blitzbekanntschaft auch nichts anderes als ein anonymes Date, das man sich im Netz klargemacht hat. Man weiß nichts voneinander. Jeder hat sein eigenes, diffuses Drehbuch im Kopf. Und in den meisten Fällen wird die Realität den Traum von Anziehungskraft und Bedeutung schon im Ansatz zerstören.

Das 1-2-3-Rezept

Viele Künstler sind im Herzen Prediger. Wer lange genug versucht, mit allen Medien und Tönen die Welt zu verstehen, wird irgendwann zum Missionar. Tatsächlich hat mein Freund auch diesmal eine interessante Theorie anzubieten. Seiner Erfahrung nach gibt es für neue Flirts ein Rezept, das immer funktioniert: Beim ersten Mal nur reden, beim zweiten Mal zum Abschied einen richtigen Kuss. Und wenn der gut war, beim dritten Mal Sex.

"Schon beim dritten Date zur Sache kommen? So schnell?", frage ich. Er nimmt einen großen Schluck Zitronensoda, fixiert mich mit dem Blick eines mitleidigen Polarforschers. Langsam stellt er sein Glas ab, holt einmal tief Luft und sagt: "Glaub mir. Wenn man sich zu lange Zeit lässt, verwässert man es bloß." (Ela Angerer, RONDO, 5.6.2021)