Das billigere Einheitsticket um drei Euro pro Tag für ganz Österreich bringt die Finanzierung des öffentlichen Personennah- und Regionalverkehrs durcheinander.

Foto: Matthias Cremer

Wien – Die Bundesländer und Verkehrsverbünde erhöhen den Druck in Sachen 1-2-3-Ticket. "Das Angebot schaffen und verbessern muss der erste Schritt sein, sonst steigen die Autofahrer nicht um, wenn es nur alle zwei Stunden einen Bus gibt", umreißt der Geschäftsführer des Verkehrsverbunds Steiermark, Peter Gspaltl, das Problem. Die teils bereits geplante Angebotserweiterung dürfe durch die Einführung eines Billigtickets nicht infrage gestellt werden.

"Wir tragen das Einnahmenrisiko für Schiene und Bus im Bundesland", warnt auch der Geschäftsführer der Oberösterreichischen Verkehrsholding, Herbert Kubasta. Daher sei es nicht egal, ob alle Stufen oder nur die Dreierstufe eingeführt werde. Es brauche vor allem klare und vor allem langfristige Finanzierungszusicherungen über die von Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) angekündigte Abgeltung für zwei Jahre.

Einnahmenerosion

Gspaltl und Kubasta bringen auf den Punkt, was auch Landespolitiker und Verkehrsverbund-Manager in Niederösterreich, Burgenland, Salzburg und Wien umtreibt. Sie alle sehen ihre Einnahmen erodieren, wenn – wie von der Verkehrsministerin angestrebt – im ersten Halbjahr 2021 die österreichweite 3er-Stufe des 1-2-3-Tickets um drei Euro pro Tag oder 1.095 Euro pro Jahr für alle öffentlichen Verkehrsmittel eingeführt wird.

Gewessler hat wohl zugesichert, dass den Ländern die Mindereinnahmen aufgrund der Abwanderung von Verbund-Kunden zu dem über den ÖBB-Ticketshop verkauften und abzurechnenden österreichweiten 3er-Ticket abgegolten werden. Was nach den beiden ersten Jahren sein werde, sei aber völlig offen.

Mehr Angebot zum kleineren Preis

Dahinter steckt mehr als der übliche Alarmismus, wenn es um die Kostenteilung zwischen Bund und Ländern geht. Mit dem geplanten Flat-Tarif bleibt im Öffentlichen Personennah- und Regionalverkehr (ÖPNRV) kein Stein auf dem anderen – denn Kunden bekommen ihre Streckenkarten für Bus und Bahn künftig nicht nur teils erheblich billiger als jetzt, sondern mit dem österreichweiten Ticket um 1.095 Euro auch noch ein deutlich vergrößertes Angebot, nämlich alle Öffis in Österreich.

Massive Kundenwanderung

In der Folge dürfte – vor allem bei Pendlern aus dem niederösterreichischen Umland nach Wien – eine massive Wanderbewegung einsetzen: weg von lokalen Netzkarten hin zum Österreich-Ticket. Denn Einpendler aus Wiener Neustadt bekommen es mit dem 3er-Ticket ebenso billiger wie jene aus Krems oder St. Pölten. Im Wiener Speckgürtel von Korneuburg bis Perchtoldsdorf hingegen würde es mit dem 2er-Ticket für zwei Bundesländer um 730 Euro teurer als der aktuelle Verbund-Tarif.

Kommen dann ab 2022 Zweier- und Einserstufe dazu, beginnt der Wanderzirkus von neuem. Denn dann werden die Fahrgäste wieder wegwandern vom 3er-Ticket – hin zum 365-Euro-Ticket (pro Bundesland) und dem 730-Euro-Ticket (für zwei Bundesländer), womit Verkehrsverbünde und Bundesländer wieder in die Ziehung kommen.

Einnahmenaufteilung im Vollausbau?

Genau hier sehen die Verbünde die nächste Bedrohung. Denn der Bund deckt zwar die Einnahmenverluste aus dem 3er-Ticket ab, die Kosten für diese Abgeltung sinken für das Verkehrsministerium dann aber, weil die steigenden Kosten für das Angebot der 1er- und 2er-Tickets bei den Ländern blieben. Genau diese Problematik will Wolfgang Schroll, Geschäftsführer des Verkehrsverbunds Ostregion (VOR), geklärt wissen. "Was ist nach zwei Jahren, wenn die Abdeckung des Einnahmenausfalls ausläuft? Wie sieht die Einnahmenaufteilung im Vollausbau aus?", fragt die zweite VOR-Geschäftsführerin Karin Zipperer.

Millionen und eine Schieflage

Es geht dabei um Millionen – und eine beträchtliche Schieflage. Denn der einheitliche Pauschaltarif pro Bundesland deckt bei weitem nicht die Kosten ab, die durch ein flächendeckendes Öffi-Angebot entstehen. Die Netzkarte um 385 Euro in Tirol müsste in Niederösterreich – gemessen an Fläche und Einwohnerzahl – an die 3.000 Euro kosten, rechnen die am Dienstagabend zu einem Pressegespräch versammelten Verbundmanager vor. Das sei aus eigener Kraft nicht finanzierbar.

Deshalb brauche es dringend einen Masterplan, Angebot und Finanzierung aus einem Guss. "Mit dem Dreierticket allein werden genau dort, wo jetzt schon viele Leute sind, wie auf der Schnellbahn durch Wien, die Züge noch mehr überfüllt und die Leute stehen wie Sardinen", warnt VOR-Geschäftsführer Schroll.

Der steirische Verbundmanager Peter Gspaltl erwartet durch das 3er-Ticket einen Einnahmenverlust von 40 Millionen Euro – zusätzlich zu den 40 Millionen Euro, die man durch die Corona-Krise heuer schlucken müsse.

Öffi-Milliarden von Bund und Ländern

Insgesamt finanzieren Bund und Länder mit dem ab Dezember geltenden Verkehrsdienstvertrag pro Jahr 94,6 Millionen Zugkilometer der ÖBB-Personenverkehr AG um 1,19 Milliarden Euro. Der größte Brocken davon entfällt mit 530,4 Millionen Euro auf die Ostregion, gefolgt von 163,6 Millionen Euro für Oberösterreich und 100,9 Millionen Euro für Tirol. Zum Vergleich: Der Anteil für Vorarlberg macht 50 Millionen Euro aus, während der Fernverkehr (Schnellzüge von Wien nach Graz und Klagenfurt und ab Salzburg bis Bregenz sowie die Nachtzüge) mit 122,5 Millionen Euro zu Buche schlägt.

Weitere 68,4 Millionen Euro fließen in 6,5 Millionen Zugkilometer der Landes- und Lokalbahnen von Graz-Köflacher- bis Zillertalbahn. Tendenz steigend, denn diese Ausgaben steigen mit der Ausweitung der Taktverkehre Jahr für Jahr. Hinzu kommen Millionen aus dem Familienlastenausgleich, von Städten und Gemeinden für Busverbindungen in den Bundesländern, überwiegend als Schülerfreifahrten staatlich finanziert. (Luise Ungerboeck, 6.11.2020)