Mehr als 32.000 Mitglieder zählt die Facebook-Gruppe "Historisches Wien", in der das Teilen historischer Aufnahmen zum Alltag gehört. An einem Sonntag Anfang Oktober postete Stephanie Abidi, wie schon so oft, ein altes Foto, das sie soeben auf einem Flohmarkt erworben hatte. Es zeigte einen älteren Herrn, der in einem Büro an einem Schreibtisch neben einem Fenster sitzt.

Dieses Du-Paquier Ensemble (1735/40) soll bei Bonhams bis zu 170.000 Euro bringen und gehört zu jenen 25 Objekten, die vor der Restitution im Jahr 2000 im Bestand des MAK verwahrt wurden.
Foto: Bonhams

Das Foto sei "vermutlich vom Haus Stephansplatz 9 aufgenommen worden, denn durch das Fenster erkennt man die rechte Ecke der Frontfassade des Stephansdoms". Um welches "Geschäft/Büro" es sich handle, könne sie nicht sagen. Prompt postete jemand den Wikipedia-Eintrag zum Warenhaus Rothberger, ein anderes Mitglied der Gruppe identifizierte den Standort des Gebäudes mit Stephansplatz 10, wie anhand der Fenster erkennbar sei.

Warenhaus Rothenberger

"Toll!", "Wow!", "War mir unbekannt", "Wieder ein Beispiel, wie ein Unternehmen, das Maßstäbe setzte, ab 1938 ruiniert wurde", "Danke für den Beitrag – bin wieder um eine Wiener Geschichte reicher geworden" lauteten die Kommentare Interessierter. Der 2009 angelegte Wikipedia-Eintrag informiert tatsächlich nur knapp über die Historie des Unternehmens bis zur Arisierung und den Niedergang in der NS-Zeit.

Die Brüder Rothberger: Alfred (li.), Carl Julius (re.) und Heinrich (Mitte), der zu den wichtigsten Porzellansammlern seiner Zeit gehörte.
Foto: Bonhams, Family of Mrs Bertha Gutmann

Dabei gehört das Warenhaus Rothberger zu jenen Beispielen, die dokumentieren, was Provenienzforschung abseits von der Bearbeitung potenzieller Restitutionsfälle bewirken kann: Sie erschließt der Allgemeinheit oft längst vergessene Kapitel der Geschichte einer Stadt wie Wien, ihres kulturellen oder wirtschaftlichen Lebens und ihrer einflussreichen Protagonisten. Ein positiver Aspekt, der sich aus der Aufarbeitung der vom NS-Regime betriebenen Verfolgung und Vermögensentziehung ergibt. Eben auch im Falle der Familie Rothberger, deren ehemalige Besitztümer in den vergangenen Jahren seit 2000 zum Teil restituiert wurden.

Restitutionen

Darunter eine Reihe von kostbaren Porzellanobjekten aus dem Museum für angewandte Kunst (Mak) sowie ein Solitär-Service und eine Schale mit Untertasse aus dem Wien-Museum. Ein Großteil gelangt jetzt am 3. Dezember bei Bonhams in London zur Versteigerung, nachdem die Erbin Bertha Gutmann, geborene Rothberger, im November 2018 verstorben war.

Die prachtvollen Objekte, teilweise aus der Du-Paquier-Periode, gehörten einst Heinrich Rothberger, der – neben Ferdinand Bloch-Bauer – zu den bedeutendsten Wiener Porzellansammlern zählte. Gemeinsam mit seinen Brüdern Moritz und Alfred leitete er ab 1899 das von ihrem Vater Jacob Rothberger 1886 gegründete und 1895 erweiterte Kaufhaus an der wohl prominentesten Adresse Wiens gegenüber dem Stephansdom.

Dem Schicksal des Unternehmens und der Familie widmete Sophie Lillie in Was einmal war (Czernin-Verlag) 2003 ein erstes Kapitel. 2010 erschien Christina Gschiels, Ulrike Nimeths und Leonard Weidingers Buch Schneidern und Sammeln: Die Wiener Familie Rothberger (Böhlau-Verlag).

Zwangsverkäufe

Einer breiteren Öffentlichkeit wurde das Warenhaus Rothberger 2017 im Rahmen der Ausstellung Kauft bei Juden! im Jüdischen Museum Wien bekannt. Im Begleitkatalog rekonstruierte Leonhard Weidinger, seit 2005 Provenienzforscher am Mak, die Chronik der Entziehung diverser Vermögenswerte bis hin zu erwähnten Restitutionen.

Ein Flohmarktfund: Die alte Aufnahme zeigt einen älteren, bärtigen Mann im Büro des "Warenhauses Rothberger". Um wen es sich bei dem Herrn handelt, konnte bislang nicht geklärt werden. Firmengründer Jacob wird von Experten ausgeschlossen.
Foto: Privatsammlung

Das Unternehmen war nach dem "Anschluss" Österreichs in den Fokus von "Arisierungsbestrebungen" geraten. Im Frühsommer wurde Heinrich Rothbergers älterer Sohn Heinrich verhaftet und ins Konzentrationslager Dachau gebracht. Damit wurde, so Weidinger, sowohl der künftige Geschäftsführer aus dem Weg geräumt als auch die Familie unter Druck gesetzt, die Firma und Eigentum abzugeben.

Durch die Arisierung gerieten Heinrich und auch sein Bruder Moritz unter massiven wirtschaftlichen Druck. Zur Finanzierung der vorgeschriebenen Zwangsabgaben sollten ihre Sammlungen herhalten. Bei Moritz ging es um rund 180 prähistorische Objekte, bei Heinrich um einen Großteil seiner Porzellanobjekte, konkret 95 an der Zahl, die von den damaligen Behörden auf 133.800 Reichsmark geschätzt worden waren. Um die Ausfuhrgenehmigung zur Versteigerung bei Hans W. Lange in Berlin zu bekommen, mussten die Brüder jeweils drei Objekte an Museen widmen.

Im Falle Heinrichs wurde der Rest seiner Sammlung im November 1938 sichergestellt, die in den Folgejahren von einem Rechtsanwalt der Familie veräußert wurden. Heinrich emigrierte mit seiner Ehefrau Ella vorerst nach Kuba, sein Bruder Moritz verstarb 1944 im Spital der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien.

Heinrichs Bemühungen, Teile seiner Sammlungen wiederzubekommen, verliefen in den Nachkriegsjahren nur bedingt erfolgreich. In der Datenbank "Lost Art" sind aktuell noch 73 Suchmeldungen verzeichnet. (Olga Kronsteiner, 14.11.2020)