Für Ferdinand Georg Waldmüllers "Vorbereitung zum Weinlesefest" fiel der Hammer bei moderaten 240.000 Euro (exkl. Aufgeld): zur Freude eines Saalbieters und zum Ärger eines Live Bidding Teilnehmers.

Foto: Dorotheum

Darüber, ob Onlineformate die klassische Versteigerung mit Saalpublikum ersetzen kann, lässt sich debattieren. Wer je physisch einer Auktion beiwohnte, weiß um die Atmosphäre, um die Bieter, die mit ihren Nummerntafeln bewaffnet teils leidenschaftlich um "ihr" Kunstwerk kämpfen: gegen Konkurrenten im Saal, am Telefon oder solche, die sich von Sensalen vertreten lassen.

In der Hitze des Gefechts wird oftmals ein deutlich höherer Betrag geboten als ursprünglich geplant. Das ist eher die Norm als die Ausnahme und gehört zur Charakteristik der Branche, ohne die es auch keine Rekordzuschläge gäbe.

Die Pandemie bescherte auch hier eine Zäsur. Online-Auktionen oder das bei klassischen Auktionen mit Publikum zusätzlich angebotene Live-Bidding avancierten zur Alternative. Die Anzahl der Saalbieter wurde reihum beschränkt, so auch im Dorotheum vergangene Woche.

Obacht bei "Ankaufslimit"

Obwohl 17 Bieter im Saal zugelassen gewesen wären, waren nicht so viele gekommen. Stattdessen wurden die üblichen Optionen gewählt oder das im Vorfeld eigens propagierte Live-Bidding. Noch im Frühjahr kooperierte das Dorotheum dabei mit "Invaluable", einem weltweit führenden Online-Marktplatz für Kunst, Antiquitäten und Sammlungsobjekte. Im Sommer wechselte man zu einer maßgeschneiderten Software von "Auction Mobility".

Die Registrierung – mit oder ohne Kundennummer – funktioniert schnell, birgt aber auch kleine Tücken. Unter dem Punkt "Ankaufslimit" muss man jetzt den "geplanten max. Ankaufbetrag in Euro" nennen, zur Wahl stehen dabei bis 30.000 Euro, bis 100.000, bis 500.000, bis 1.000.000 oder mehr als 1.000.000 Euro. Gemeint ist damit jedoch nicht das Maximalgebot für ein einzelnes Kunstwerk, sondern tatsächlich ein Gesamtbudget, das man bei der Versteigerung für ein oder mehrere Objekte auszugeben plant.

Ein Hinweis dazu wäre für weniger versierte Kunden eventuell hilfreich (gewesen). Christie’s handhabt das ähnlich, Sotheby’s und die Mehrheit der europäischen Auktionshäuser dagegen nicht. Sei es, wie es sei. Dem Vernehmen nach soll bei der Versteigerung der Sparte Gemälde des 19. Jahrhunderts bei einigen Live-Biddern Gebote nicht angenommen worden sein, weil sie (unwissentlich) das "geplante" Limit überschritten.

Unmut hinter den Kulissen

Auf Anfrage informiert das Dorotheum, dass "keinerlei Beschwerden bekannt" seien. Zumindest ein Fall sorgt jedoch seit Tagen für Unmut hinter den Kulissen. Vorweg: Die Namen der Beteiligten sind der Redaktion bekannt, sie tun jedoch nichts zur Sache, ebenso wenig, ob es sich um finanzkräftige Privatsammler oder renommierter Kunsthändler handelt.

Waldmüllers "Der Besuch der Großeltern" wurde ebenfalls an die Erben nach Irma Löwenstein restituiert und für 87.800 Euro (inkl. Aufgeld) versteigert….
Foto: Dorotheum

Ein langjähriger Stammkunde hatte jedenfalls ernsthaftes Kaufinteresse an Ferdinand Georg Waldmüllers auf 120.000 bis 180.000 Euro taxiertes Gemälde Vorbereitung zum Weinlesefest. Sein Plan: Er würde die ersten Ansteigerungen seiner Konkurrenten abwarten und erst später einsteigen. Als ein Saalbieter 240.000 Euro bot, wollte er mit 260.000 Euro kontern, allein, sein Gebot wurde abgelehnt, das Limit sei überschritten, poppte auf dem Bildschirm auf. Der Zuschlag erfolgte prompt bei 240.000 Euro.

Fassungslos rief er die Sensalin an, die an der Auktion teilnahm, informierte sie über das vergebliche Gebot und erbat eine Aufhebung des Zuschlags, um in weiterer Folge über sie telefonisch mitbieten zu können. Der Wunsch blieb ihm verwehrt. Erst später stellte sich heraus, dass es an dem bei der Registrierung angegebenen Ankaufslimit gescheitert war: 100.000 Euro, die er als Richtwert verstanden hatte.

Entscheidung zulasten des Verkäufers

Laut den im Katalog veröffentlichten Versteigerungsbedingungen wären die Aufhebung des Zuschlags und ein neuerlicher Aufruf möglich gewesen. Dann nämlich, "wenn ein Gebot übersehen oder nicht wahrgenommen wurde oder sonst unbeachtet blieb".

… auf der Rückseite der Genreszene sind Stationen ihrer Vita dokumentiert: Ausstellungsbeteiligungen oder auch Inventarnummern des geplanten "Führermuseums" in Linz (221) oder des Central Collecting Points in München (9692).
Foto: Dorotheum

Warum sich das Dorotheum dagegen entschied und einen geringeren Erlös für den Einbringer in Kauf nahm? Man hatte "keine rechtliche Möglichkeit", eine solche wäre nur dann gegeben gewesen, wenn die Schuld beim Dorotheum gelegen wäre, also "vor dem Zuschlag ein Gebot vorlag, das nicht wahrgenommen wurde". Der Anruf des Live-Bidders sei danach erfolgt.

Ob man das bei "im Kinsky" auch so handhaben würde? Nein, auch nicht im Hinblick auf die Bekanntgabe eines "geplanten" Ankaufslimits vor der Auktion. "Geplant" sei ja nichts Fixes, für Kunden wäre das "grob benachteiligend, überraschend und daher unwirksam".

Einerlei, der im Saal anwesende Käufer freute sich über das Schnäppchen. Denn solche Genrebilder erzielen durchaus höhere Werte als 240.000 Euro (296.100 inkl. Aufgeld), wie ein Blick in Kunstpreisdatenbanken belegt. Mehr als 300.000 Euro hätte man erwarten können, bescheinigen mehrere Insider. Die Schmerzgrenze bei Privatsammlern liege in der Gegend um die 400.000 Euro. Zumal für dieses Gemälde, das bis Februar 2019 in der Neuen Pinakothek München hing.

Zwangsverkauf in der NS-Zeit

Es wurde vergangenes Jahr, wie zwei weitere Waldmüller-Bilder aus dem Bestand, an die Erben nach Irma Löwenstein restituiert: einerseits Das gutmütige Kind (Der Bettler) von 1858/59, das im Frühjahr 2021 im Dorotheum versteigert werden soll. Sowie andererseits Der Besuch der Großeltern (1863), der jetzt für 70.000 Euro (87.800 inkl. Aufgeld) den Besitzer wechselte.

Auf der Rückseite dieses Bildes ist die spezifische Vita gut dokumentiert: neben Etiketten von diversen Ausstellungen auch die Inventarnummer (221) des für Linz geplanten "Führermuseums" und jene des Central Collecting Point München (Nr. 9692).

Bis zum "Anschluss" hingen diese Bilder im Speisezimmer des Ehepaars Oscar und Irma Löwenstein, wie eine Aufnahme aus den Akten im Archiv des Bundesdenkmalamtes belegt. 2003 widmete Provenienzforscherin Sophie Lillie dem Ehepaar in Was einmal war (Czernin-Verlag) ein Kapitel und damit die bislang einzige Veröffentlichung zu dieser Causa. Bei Oscar Löwenstein handelte es sich um einen der beiden Gründer der liberalen Zeitung Neues Wiener Journal (1893–1939).

Dem Ehepaar gehörte eine umfangreiche Kunstsammlung, die einem der Vermögensanmeldung beigelegten Schätzgutachten zufolge im Juni 1938 auf gut 80.000 Reichsmark geschätzt worden war. Zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts war man gezwungen, die drei Waldmüller-Bilder an die Münchner Kunsthändlerin Maria Almas-Dietrich zu verkaufen, die sie an das geplante Führermuseum weiterreichte.

Suchmeldungen bei Lostart

Ein Teil ihrer Kunstsammlung begleitete das Ehepaar ins Exil, ein weiterer war vorerst bei einer Spedition in Wien verblieben und wurde nach 1941 von der Gestapo beschlagnahmt und veräußert. Oscar Löwenstein verstarb 1942, seine Witwe bemühte sich nach Ende des Zweiten Weltkriegs um die Auffindung. Vergeblich, wie in so vielen anderen Fällen auch.

Lost Art listet derzeit mehr als 40 Suchmeldungen, die seit dem Frühjahr von den Erben gemeldet wurden: Dabei handelt es sich um eine in London ansässige Wohltätigkeitsorganisation für Sehbehinderte. Dass dieser durch ein Live-Bidding-Malheur ein womöglich deutlich höherer Verkaufserlös verwehrt blieb, hinterlässt einen schalen Beigeschmack. (Olga Kronsteiner, 21.11.2020)