Einsatzkräfte im Rahmen der Operation Luxor in Wien.

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Durch das von der Regierung vor kurzem vorgestellte Antiterrorpaket sind massive Einschränkungen der Grund- und Freiheitsrechte zu befürchten: So lautet der Tenor eines offenen Briefs an die Regierung, den die Dokustelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus verfasste – laut Eigenangaben ein "Projekt der Initiative muslimischer Österreicherinnen und Österreicher, einem Fachverein der IGGÖ" – und den auch NGOs und Institutionen wie die Asylkoordination, Zara und Vicesse (Vienna Centre for Societal Security) unterzeichnet haben.

Man verurteile den Terroranschlag vom 2. November in Wien, tiefstes Mitgefühl gehe an die Betroffenen und Hinterbliebenen, heißt es in dem Brief. Doch gerade angesichts einer solchen Tat seien "gesellschaftlicher Zusammenhalt sowie das verstärkte Bekenntnis zur Einhaltung der Grund- und Menschenrechte für alle wichtig".

Kritik an Straftatbestand "politischer Islam"

Bezug genommen wird allerdings nicht nur auf das Antiterrorpaket, dessen konkrete juristische Ausarbeitung noch auf sich warten lässt, sondern auch auf die Operation Luxor – also die vor kurzem erfolgten Razzien im Umfeld der Muslimbruderschaft. Auch diese böten Anlass zur Besorgnis, hieß es. Bei einer Pressekonferenz am Mittwoch, bei der der offene Brief vorgestellt wurde, nahm neben Elif Adam, Obfrau der Dokustelle, auch der Superintendent der evangelischen Diözese Wien, Matthias Geist, teil.

Eine wesentliche Forderung des offenen Briefs: Es solle zu keiner Einführung eines Straftatbestands "politischer Islam" kommen. Es gebe keine einheitliche wissenschaftlich anerkannte Definition des Begriffs, vielmehr sei es ein Sammelbegriff für Gruppen mit unterschiedlichen ideologischen Standpunkten. Folglich würde der Tatbestand die Gefahr bergen, dass "alle Muslim*innen unter Generalverdacht gestellt, von der Exekutive beobachtet, verfolgt und sogar in ihrer Existenz bedroht werden können", heißt es in dem Brief. Das käme einem Gesinnungsstrafrecht gleich.

Teufelskreis

Zudem wird gefordert, dass staatliche Behörden notwendige Maßnahmen dafür ergreifen sollen, dass die Freiheit der Religionsausübung aller Religionsgemeinschaften vollständig und gleichberechtigt gewährleistet werde. Das umfasse auch die "Freiheit der Organisierung des religiösen Lebens". Auch Strategien zur Deradikalisierung müssten "das Recht auf Religionsfreiheit (...) gewährleisten". Religiöse Praktiken und Bekleidung sollen nicht als Indikatoren für Radikalisierung verwenden werden. Außerdem: Die Aberkennung der Staatsbürgerschaft solle nicht Teil einer Terrorbekämpfungsstrategie sein: "Durch die Ausbürgerung entzieht sich ein Staat seiner Verantwortung, was zur Schwächung des Rechtsstaates führt", heißt es.

"Der Fokus muss auf der umfassenden und lückenlosen Aufklärung des Terroranschlags liegen", sagte Adam. Die geplanten Maßnahmen hingegen würden zu einer "politischen und rechtlichen Kriminalisierung von Menschen" führen. Der Politikwissenschafter Benjamin Opratko sprach von einem Teufelskreis, der nach terroristischen Anschlägen auch international zu beobachten sei: Danach würden "neue Wellen von Diskriminierung gegenüber Muslimen" kommen, auch das geplante Gesetzespaket laufe Gefahr, "wieder in den gleichen Zirkel hineinzutappen".

Kontrolle der Geheimdienste

Geist schlug in dieselbe Kerbe: "Ich möchte warnen vor den politischen Folgen, die den Rechtsstaat erschüttern können." Wenn eine Religionsgemeinschaft pauschal in Misskredit gebracht werde, sei religionsübergreifend solidarisches Handeln gefragt: "Offenkundiger oder subtiler Missbrauch von Religionen durch verschiedene Bewegungen" könne zwar "sehr wohl geschehen", werde aber seines Wissens "von allen Kirchen und Gemeinschaften zurückgewiesen". Gezielte Aktionen gegen eine Religionsgemeinschaft dürften "nur unter strengsten Auflagen geschehen und nie in Beliebigkeit".

Gefordert wird zudem eine stärkere Kontrolle der Geheimdienste. Die geplante Reform des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) biete eine "enorme Sprengkraft", sagte Thomas Lohninger von der Datenschutz-NGO Epicenter Works. Wichtig sei eine im Vorfeld und im Nachgang an Maßnahmen sichergestellte Kontrolle. Nötig sei zudem eine demokratische Debatte darüber, wie effizient und transparent das BVT arbeite und was die Zielsetzungen seien. Dafür, Überwachungskompetenzen auszuweiten, sieht Lohninger "keinen Anlass". Denn der Anschlag hätte mit den bestehenden Befugnissen verhindert werden können. (van, 25.11.2020)