Angriffe auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk: Premier Boris Johnson im BBC-Studio bei Interviewer Andrew Marr im Oktober 2020.
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Brachte ein BBC-Redakteur Prinzessin Diana mit gefälschten Dokumenten und Lügengeschichten dazu, mit einem offenherzigen Interview ihre Ehe zu sprengen und die Monarchie zu gefährden? Schwere Zweifel an ihrem 25 Jahre alten sensationellen Scoop bedrängen die ehrwürdige Institution, die weltweit als Vorbild öffentlich-rechtlichen Rundfunks verehrt wird. Die Vertrauenskrise trifft zusammen mit Versuchen der konservativen Regierung von Premier Boris Johnson, der als unbotmäßig empfundenen Anstalt Zügel anzulegen.

Das zur besten Sendezeit ausgestrahlte Interview mit der selbsternannten "Königin der Herzen" ließ keine Fragen offen: Die damals 34-Jährige gab mehrfachen Ehebruch zu, outete sich als Bulimie-Kranke und stellte ihren Mann, den Thronfolger Charles, als Schwächling dar. Die vermeintliche Traumhochzeit 1981 sei eine Farce gewesen, weil Charles von der Liebe seines Lebens, Camilla Parker-Bowles, nicht lassen mochte: "Es gab drei in dieser Ehe, da wurde es ein bisschen eng." 23 Millionen Briten sahen die Beichte. Kurz darauf befahl die Queen den verfeindeten Rosenkriegern die Scheidung.

Aufarbeitung nach 25 Jahren

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Das Interesse der Medien konzentrierte sich auf eine Frage: Wie konnte ein unbekannter BBC-Reporter 1995 den Scoop landen, hinter dem doch sämtliche Größen der Fernsehwelt her waren? Durch Lügen und Fälschungen, behauptete nun Dianas jüngerer Bruder Graf Charles Spencer, mittlerweile 56, in einer Dokumentation des TV-Kanals Channel Four. Martin Bashir, damals 32, habe ihm selbst und seiner Schwester Märchen erzählt und gefälschte Kontoauszüge vorgelegt. Diese sollten beweisen, dass ein Ex-Angestellter der Grafenfamilie den Geheimdiensten Familiengeheimnisse zugetragen hatte.

Die BBC hatte die Vorwürfe bereits 1996 überprüft und ad acta gelegt. Nach intensivem Lobbying durch Regierung und Prinz William, den älteren Sohn der 1997 tödlich verunglückten Prinzessin, gab die Anstalt nun bekannt: Ein pensionierter Höchstrichter soll den Fall aufarbeiten. Bashir, mittlerweile für Religionsfragen zuständig, wird wohl, so Insider, "nie wieder" für den Sender arbeiten.

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Die peinliche Affäre kommt für den frischgebackenen Intendanten Tim Davie zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Denn an der dauerhaften Feindseligkeit des populistischen Premierministers und seiner engsten Crew besteht kein Zweifel. Nach dem klaren Wahlsieg im vergangenen Dezember verfügte Johnsons damaliger Chefberater Dominic Cummings einen Boykott des Senders, erst die Corona-Pandemie führte zu einer eiligen Kehrtwende. Dass Johnson im Oktober zwei altbekannten BBC-Kritikern Jobangebote machte, den Sender zu führen und zu beaufsichtigen, "verstößt gegen alle Regeln", sagt Medienprofessorin Jean Seaton von der Uni Westminster.

Kein Parteienproporz wie im ORF

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Dabei stellt die erstmals 1927 für zehn Jahre ausgestellte königliche Charta den Sender ausdrücklich außerhalb direkten politischen Einflusses. Zwar wurde die BBC schnell Teil des britischen Establishments, ein mehr oder weniger gutes Einvernehmen mit der jeweiligen Regierung gehört zu den Aufgaben des Managements. Dafür ist dem Sender ein Parteienproporz bis hinunter zu politischen Reportern wie in Deutschland oder Österreich erspart geblieben. Und dauernd liegen die Verantwortlichen mit Parteien, Verbänden und Einflussgruppen im Clinch. Vielleicht auch deshalb nennen die Briten bis heute die BBC in allen Umfragen als verlässlichste Informationsquelle, weit vor anderen Medien, erst recht vor Regierung oder Parlament.

Rundfunkgebühr hinterfragt

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Mag der Streit mit Londoner Politikern noch beizulegen sein – im Zeitalter von Mediengiganten wie Amazon und Netflix werden die Strukturprobleme der BBC von Tag zu Tag größer. Einstweilen finanziert sich der Sender überwiegend durch die jährliche Rundfunkgebühr von 157,50 Pfund (173,97 Euro) pro Haushalt. Hinzu kommen Einnahmen aus dem weltweiten Verkauf populärer Programme wie Bodyguard oder David Attenboroughs One Planet, zuletzt ein Viertel des Gesamtbudgets von 5,4 Milliarden Euro.

Dass der neue BBC-Intendant Davie zuvor dem Kommerzarm BBC Studios vorstand, ist gewiss kein Zufall. Ausdrücklich hat der 53-Jährige auf die weltweite Bedeutung des Senders hingewiesen; mit der Rundfunkgebühr dürfe man jenseits der derzeitigen Charta-Phase bis 2027 nicht unbedingt rechnen, jedenfalls nicht in bisheriger Höhe. Seinen Stars verordnet Davie neue Richtlinien für deren Auftritte in Netzwerken wie Twitter oder Facebook: Gerade in Zeiten von Fake-News müsse die BBC für unbestechliche Unabhängigkeit und Objektivität stehen. Auch müsse die BBC stärker als bisher "das ganze Land repräsentieren". Unter Insidern gilt dies als Chiffre nicht zuletzt dafür, dass man im öffentlich-rechtlichen Sender die wachsende Feindseligkeit gegenüber der EU allzu lang übersah. (Sebastian Borger, 30.11.2020)