Vom klobigen E-Bike ist kaum noch was zu erkennen, daher werden solche Modelle als "energetic bikes" beworben.

Foto: Florian Lechner

Während die Wirtschaft weltweit auf Krise eingestellt ist, erlebt die Fahrradbranche aufgrund von Pandemie und Klimawandel neue Hochzeiten. Das liegt auch daran, dass sie es im Gegensatz zur Automobilindustrie geschafft hat, das Thema E-Mobilität von der Theorie in die Praxis zu übersetzen. Vom massentauglichen Alleskönner bis hin zum hochspezialisierten Nischenprodukt. DER STANDARD hat zwei solcher Beispiele getestet und bei den Herstellern nachgefragt, wohin die Reise auf den elektrischen Fahrrädern führen wird.

Auf der einen Seite das Victoria-E-Adventure, ein solides Alltags- und Trekkingrad, das für fast jeden Einsatzzweck taugt. Der Allrounder ist ab 2999 Euro zu haben. Dem gegenüber steht im Test das "Take 2 E-Ride 1"-Konzept von Nox Cycles, das zwei spezifische Räder – ein Stadtrad und ein Mountainbike – und einen dazu passenden E-Antrieb bietet. Zu haben ist das Duo ab 8699 Euro. Beide Anbieter sind so unterschiedlich wie ihre Produkte. Victoria gehört zum deutschen Hartej-Konzern, der seit 125 Jahren in Niedersachsen Fahrräder herstellt. Nox Cycles wurde 2004 in Berlin gegründet und fertigt seine Mountainbikes heute im Tiroler Zillertal.

Victoria-E-Adventure, 25 kg, Shimano-E-Steps-Motor, 3499 €
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Mit ihren Produkten richten sich die beiden Fahrradhersteller an ganz bestimmte Zielgruppen. Bei Victoria ist das die "mittelalte, etwas bequemere Klientel", die ein Rad sucht, das alles mitmacht, egal ob Stadtverkehr oder Forstweg, und kein auf sportlich getrimmtes Mountainbike. Die sechsstelligen Absatzzahlen – genauere Daten gibt das Unternehmen nicht preis – bestätigen diese Strategie. Und im Alltagstest beweist das Rad diese Multifunktionalität. Mit Satteltaschen bepackt lässt sich damit problemlos der Wochenendeinkauf für die ganze Familie erledigen. Dank der breiten Stollenreifen ist die Innsbrucker Innenstadt damit genauso bequem erreichbar wie die Thaurer Alm.

Sogar auf leichten Trails ist das Victoria fahrbar, wobei es hier an seine Grenzen stößt. Die Suntour-Federgabel schluckt die eine oder andere kleine Wurzel, doch insgesamt klappert das Rad auf ruppigerem Terrain schon sehr. Nach einem kleinen Hupfer über eine Stufe setzte schließlich der Motor aus, weil der Akku verrutschte. Das war offenbar zu viel des Guten. Doch die Shimano-Bremsen – vorne 203er-Scheiben, hinten 180er-Scheiben – sind absolut tauglich für steileres Terrain.

Nox Metropolis, 22 kg, Fazua Drive-Pack Evation, 3799 €
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Ein Antrieb, zwei Räder

Wer nicht nur von A nach B kommen will, sondern sowohl auf Asphalt als auch Waldboden Spaß sucht, der braucht mehr als den Alleskönner. Für solche Typen Radfahrer hat Nox sein dynamisches Duo entwickelt. Der Clou daran: Der Fazua-Antrieb ist wechselbar. Man erhält beim Kauf beider Räder einen Antrieb zum Hin- und Herstecken. Und auch ganz ohne Antrieb sind sowohl das Urban als auch das Helium problemlos fahrbar wie herkömmliche Räder ohne E-Motor. Kein Widerstand, kein Tretkraftverlust – sogar das motorlose Bergauffahren über Trails ist drin. Und wenn einem unterwegs die Kraft ausgeht, lässt sich der Motor optional zuschalten, sofern er grad im Bike ist.

Das Urban kommt als schnittiger Beachcruiser-Stadtrad-Hybrid daher. Die Doppelbrückengabel und stylishe Accessoires wie Ledersattel sowie -griffe sollen offenbar die hippe, trendbewusste Klientel ansprechen. Lichtsensoren, die automatisch erkennen, wann die integrierte Beleuchtung zugeschaltet wird, sind weitere nette Zusatzfeatures, die im krassen Gegensatz zur schlichten Funktionalität des Victoria-Rades stehen, das natürlich ebenfalls mit bereits integriertem Licht – sogar Bremslicht – kommt.

Nox Helium Enduro, 18 kg, Fazua Drive-Pack Evation, 7799 €
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Aber Geschmäcker und Bedürfnisse sind eben verschieden. Wie auch die Geldbeutel. Wer sich für das Nox-Duo entscheidet, muss weitaus tiefer in die Tasche greifen, erhält dafür aber ein waschechtes Enduro, das wirklich alle Stückln spielt. Schlanke 18 Kilogramm inklusive Antrieb und Akku. Dazu ein sattes Fox-Fahrwerk und Magura-Bremsen, rein technisch ist damit jeder Trail fahrbar.

Bei Nox will man mit diesem Angebot "sportliche Kunden" ansprechen, die "einen Schritt in die Zukunft gehen wollen". Dazu hat sich die kleine Bikeschmiede mit dem Münchner Motorenhersteller Fazua zusammengetan. Das junge bayrische Unternehmen stieg 2013 mit seinem innovativen Produkt in den Markt ein und schaffte es tatsächlich, sich neben Branchenkaisern wie Bosch, Shimano, Brose und Yamaha zu etablieren. Mit mittlerweile 100 Mitarbeitern beliefert man bereits 40 Hersteller weltweit.

"Energetisches" Biken mit dem Nox Helium. Dass die beiden mit E-Bikes unterwegs sind, würde man kaum meinen.
NOX Cycles

Weniger Leistung, mehr Fahrspaß

Der Fazua-Motor ist zwar weniger ausdauernd als die üblichen Pedelec-Motoren. Dafür aber auch deutlich leichter. Antrieb und Akku lassen sich mit nur einem Handgriff aus dem Rad entfernen und sind kompatibel mit Fazua-angetriebenen Modellen anderer Hersteller. Sprich, der E-Antrieb aus dem Nox ließe sich in jedem anderen Fazua-Modell einsetzen. Daher verkaufen die Zillertaler ihre Bikes optional auch "open source", also ohne Antrieb. Wer zum Beispiel schon ein Radl mit Fazua-Motor zu Hause hat, kann sich einfach nur ein Helium oder Urban ohne Motor kaufen und den schon vorhandenen einsetzen.

Das Victoria-E-Adventure wird von einem Shimano-Motor angetrieben, der bequemes Fortkommen sicherstellt. Tritt man in die Pedale, setzt je nach Unterstützungsmodus der Motor umgehend ein. Für die Zukunft wird man diese Modelle vermehrt mit tiefem Einstieg statt mit Oberrohr anbieten, weil die Kunden in diesem Segment das so wollen. Auch das Thema S-Pedelec, also bis zu 45 km/h schnelle E-Bikes, ist bei Victoria präsent. Noch fehle es an der dazu nötigen Rad-Infrastruktur im Hauptmarkt Deutschland. Aber in Belgien, wo die Radwege für Pendler viel besser ausgebaut wurden, steige die Nachfrage bereits merklich.

Motor und Antrieb von Fazua sind im Unterrohr integriert und lassen sich mit einem Handgriff ausbauen.
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Ganz anders die Entwicklung bei Nox und Fazua. Dort will man 2021 den Begriff "energetic bike" für diese E-Bikes der neuen Generation etablieren, die mit weniger Leistung auskommen. Damit soll die sportliche Klientel angesprochen werden, die "athletisches Biken" mit Motorunterstützung sucht. Mit dem Helium ist das gelungen, es fährt sich bergab wie ein herkömmliches Enduro, bergauf liefert es sanfte, gut dosierbare Unterstützung und kann auch jederzeit ganz ohne elektrische Hilfe bewegt werden. Das Urban wiederum ist für den Stadtverkehr gebaut.

E-Bike Kasten

Im Praxis-Test zeigte sich, dass der E-Antrieb eigentlich nur im Stop-and-go-Modus wirklich Vorteile bringt. Das Anfahren an Kreuzungen macht mit Motor viel mehr Spaß, weil weniger mühsam. Victoria und Nox Urban sind dabei ebenbürtig. Die Beschleunigung auf 25 km/h ist aber kaum nötig, wenn man durch vielfrequentierte Straßen kurvt. Da ist weniger im Sinne anderer, schwächerer Verkehrsteilnehmer oft mehr.

Alle drei getesteten Räder bestechen durch ihre ganz individuellen Vorzüge. Die Bike-Branche zeigt damit, dass sie es geschafft hat, E-Mobiliät den Bedürfnissen der Kunden anzupassen. Die Bandbreite an Modellen wird in den kommenden Jahren enorm zunehmen. Schon heute sind drei Viertel aller verkauften Victoria-Räder E-Bikes, bei Nox werden überhaupt keine Räder ohne Motor mehr gebaut. (Steffen Arora, 8.12.2020)