Noch vor Weihnachten will das Kabinett von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) bekannt geben, welche Tauglichkeitskriterien für den Wehrdienst und damit auch den Wehrersatzdienst mit Jahreswechsel nivelliert werden sollen. Doch wie berichtet stehen die Grünen hier auf der Bremse, weil sie durch ein überhastetes Einführen der Teiltauglichkeit verfassungsrechtliche Probleme, aber auch eine physische und psychische Überforderung dieser jungen Männer befürchten.

Spärliche Angelobung wegen Corona am Nationalfeiertag: Alle anderen Parteien stehen dem raschen Einziehen von Teiltauglichen skeptisch gegenüber – doch die Kanzlerpartei will ihr Vorhaben zum Jahreswechsel durchziehen.
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Auch auf STANDARD-Anfrage bei der Opposition zeigt sich: Die Kanzlerpartei ÖVP ist mit ihrem raschen Bedarf an Teiltauglichen allein auf weiter Flur, doch um die Kriterien für den Wehrdienst herabzusetzen, braucht sie laut Rechtsansicht im Verteidigungsministerium nicht einmal einen Parlamentsbeschluss, also den Sanktus des grünen Juniorpartners. Die Neuerungen könnten also genauso gut per Erlass beziehungsweise Verordnung auf den Weg gebracht werden, hieß es dazu in Tanners Büro zu Wochenbeginn.

Auch Neos sind entsetzt

Die Neos sind ob dieser Rechtsansicht "entsetzt" und bringen noch am Dienstag eine parlamentarische Anfrage an Ministerin Tanner ein – um sie zu ihrem überstürzten Handeln zu löchern. Denn wie die Grünen hegt auch deren Wehrsprecher Douglas Hoyos verfassungsrechtliche Bedenken rund um die Einführung der Teiltauglichkeit – weil laut einem bis heute geltenden Spruch des Verwaltungsgerichtshofes in den Achtziger Jahren für den Wehrdienst und damit auch für den Zivildienst nur Stellungspflichtige in Frage kommen, die einem Mindestmaß physischen Kraftanstrengung unterzogen werden können.

"Darüber hinaus", sagt Hoyos, "ist es nicht nachvollziehbar, warum man mehr Männer in einen Zwangsdienst schicken soll, wenn man diese gar nicht braucht." Denn: "Sie belasten das zu Tode gesparte System nur weiter." Hoyos spielt damit darauf an, dass auch Militärexperten Bedenken zur Einführung der Teiltauglichkeit hegen, weil das Herausfiltern von ein paar hundert mehr Präsenzdienern im Jahr einen beträchtlichen Mehraufwand bei der Stellung bedeutet.

SPÖ warnt vor staatlichem Schadenersatz

SPÖ-Wehrsprecher Robert Laimer, seit kurzem auch einer der Vorsitzenden der Bundesheerbeschwerdekommission, argwöhnt, dass mit der Einführung der Teiltauglichkeit auch der für den Zivildienst zuständigen Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) gedient werden soll – und dass so "Billigarbeitskräfte" für den regionalen Bereich rekrutiert werden sollen.

Und wie die Grünen pocht auch Laimer darauf, dass sich Rekruten mit dem Ableisten ihres Wehrdienstes gezwungenermaßen in die Obhut des Staates begeben und dass damit auch "die Fürsorgepflicht der Republik" in Kraft tritt. Deswegen sei der "Tanner-Plan" hinsichtlich möglicher Schadenersatzforderungen "hoch explosiv", gibt der SPÖ-Abgeordnete zu bedenken. Und er fragt auch: "Wie sollen die Ärzte in der Stellungskommission mit der risikobehafteten Einstufung ,teiltauglich‘ umgehen?"

FPÖ will Cyberprofis anders rekrutieren

Und obwohl sich die Einführung der Teiltauglichkeit auch schon im türkis-blauen Koalitionspakt fand, sieht auch FPÖ-Wehrsprecher Reinhard Eugen Bösch (FPÖ) "die Hauruck-Aktion" von Tanner, Köstinger & Co bis zum Jahresbeginn äußerst skeptisch: Er ruft in Erinnerung, dass ÖVP und FPÖ zuerst einen Gipfel mit Experten abhalten wollten, ehe man die Einführung der Teiltauglichkeit angehen wollte – doch bekanntlich ist daraus nie etwas geworden, weil der Ibiza-Skandal vorzeitig diese Koalition gesprengt hat.

Die von ÖVP-Seite oft zitierten eingeschränkt tauglichen 18-Jährigen, die Computerspezialisten wären und damit für die Cyberabwehr herangezogen werden könnten, sind nach Böschs Ansicht in der Realität keineswegs in einer Vielzahl vorhanden – "und müssten eher über einen anderen Weg zum Bundesheer" gebracht werden – "etwa als zivile Angestellte, wo sie dann gemäß ihren Fertigkeiten adäquat eingesetzt werden könnten". Auch Böschs Fazit lautet daher: "Hier soll wieder etwas übers Knie gebrochen werden, wo sich die Frage stellt, ob das tatsächlich zum Vorteil für das Bundesheer ist." (Nina Weißensteiner, 15.12.2020)