Viel Andrang bei einer Essensausgabestelle der Caritas: Gerade in der Krise versage die neue Sozialhilfe, monieren Kritiker.

Foto: Andreas Urban

Herrn I. hat eine psychische Erkrankung aus dem Arbeitsleben katapultiert. Für mehr als ein paar Stunden pro Woche im Wasch- und Bügelservice der teilbetreuten Wohneinrichtung, wo er lebt, reicht es nicht mehr. Doch die 50 bis 70 Euro im Monat, die er dafür bekommt, ziehe ihm die Behörde im Gegensatz zu früher eins zu eins von der Sozialhilfe ab. Abzüglich der Ausgaben für Unterkunft und Verpflegung blieben pro Monat noch 90 Euro für Kleidung, Hygieneartikel und andere persönliche Bedürfnisse.

Die Armutskonferenz nennt diesen Fall aus Oberösterreich als ein Beispiel für die Härten der neuen Sozialhilfe. Zur Erinnerung: Die türkis-blaue Regierung hat mit einem "Grundsatzgesetz" die alte Mindestsicherung ausgehebelt und dabei das alte Prinzip umgedreht: Statt Mindeststandards gelten nun Höchstlimits. Der Verfassungsgerichtshof hat zwar zentrale Punkte – Verschärfungen für Familien und Zuwanderer – gekippt. Doch was überlebt hat, ist nach Meinung der Kritiker schlimm genug.

Versagen in der Krise

Gerade in der Krise versage das Sozialhilfegesetz, urteilt Martin Schenk, Sprecher der Armutskonferenz und Vertreter der evangelischen Diakonie: "Haushalte mit Menschen in Not haben im Schnitt mehrere hundert Euro im Monat weniger als bei der Mindestsicherung." Zu beobachten sei dies in Oberösterreich und Niederösterreich, die als erste Bundesländer eine Sozialhilfe nach türkis-blauen Vorgaben eingeführt haben. Salzburg, Kärnten, Vorarlberg und die Steiermark werden im kommenden Jahr nachziehen.

Die Aktivisten haben die Erfahrungen in einem "Worst of" zusammengetragen:

  • Die Sozialhilfe schränkt die Geldleistungen für die einzelnen Bezieher ein. Wer als Paar in einem Haushalt lebt, erhält nur mehr 70 statt 75 Prozent des Basisbetrags für Alleinstehende (derzeit 917,35 Euro), auch für Kinder setzte es Kürzungen. Ein Paar in Niederösterreich kommt beispielsweise laut Rechnung der Armutskonferenz damit auf rund 92 Euro weniger im Monat als früher, eine Familie mit vier Kindern verliert etwa 400 Euro.
  • Nicht nur kleine Zusatzeinkommen würden wie im Eingangsbeispiel nun oft rigoros ohne Zuverdienstgrenze mit der Sozialhilfe gegengerechnet. Die Vorreiterländer würden neuerdings auch die Wohnbeihilfe von den Leistungen abziehen. Den vom Gesetz gewährten Spielraum, wegen der in manchen Regionen exorbitanten Wohnkosten bis zu 30 Prozent auf die Basisleistung draufzulegen, haben beide Länder nicht genutzt.
  • Ob Frauennotwohnungen oder Obdachlosen-WGs: Wer in sozialen Wohngemeinschaften lebt, muss Kürzungen hinnehmen. Leben zwei Personen zusammen, gibt es nur mehr 642,15 statt 917,35 Euro pro Kopf, ab der dritten nur mehr 412,81. Das sei schikanös, so die Kritik: Schließlich bildeten diese Menschen keine ökonomische Gemeinschaft.
  • Die Sozialhilfe werde durch die Behörden uneinheitlich vollzogen, Betroffene fänden sich in der Rolle des "Bittstellers" wieder, lautet eine weitere Kritik. Beispiel: Weil Bezieher ihre Bereitschaft zeigen müssen, ihre Arbeitskraft einzusetzen, verlangten in Oberösterreich manche Bezirksverwaltungsbehörden die Vorlage von zehn Jobbewerbungen pro Woche, erzählt Josef Pürmayr vom Armutsnetzwerk Oberösterreich.

"Das neue Gesetz ist ein Rückschritt in der Armutsbekämpfung", resümiert Schenk, Volkshilfe-Chef Erich Fenninger fordert: Die Regierung müsse die Sozialhilfe reformieren und eine Kindergrundsicherung einführen. Es könne ja nicht sein, dass mit dem Familienbonus für Besserverdienende viel Geld ausgeschüttet werde, während andere Kinder in die Armut gedrängt würden.

Allerdings hat die Koalition auch seit der grünen Beteiligung keine Anstalten gemacht, an der türkis-blauen Sozialhilfe zu rütteln: Das Thema kommt im Regierungsprogramm mit keinem Wort vor. (Gerald John, 17.12.2020)