Unter normalen Umständen würde im "R" auch Wasser, Kaffee oder Red Bull zum Haar- oder Bartschnitt serviert.

Foto: robert newald

Man hätte das R nicht dort vermutet, wo es ist. Rechts davon ein eher bieder wirkender Herrenausstatter, gegenüber ein Gebetshaus der Siebenten-Tags-Adventisten – das Eck zwischen Uni, AKH und Volksoper ist nicht der hippste Platz der Stadt. Aber der, wo der Wiener Rapper RAF Camora eben das R eröffnet hat, eine Kombination aus Barbershop und Tattoostudio. Und wohin RAF Camora geht, so hat es sich zumindest bisher bewahrheitet, dorthin folgen ihm die Massen. Der in Wien-Rudolfsheim aufgewachsene Künstler ist ein Superstar.

Ein Stück Kunst für die Ewigkeit.
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Von der ungemütlichen Nußdorfer Straße steigt man beim Betreten des R in eine andere Welt, eine mit nackten Ziegelwänden, schwarz gestrichenen Rohren und sehr tief hängenden und schwach leuchtenden länglichen Glühbirnen. Beschallt wird mit Hip-Hop, womit sonst. Und das laut. Wie sonst.

"Ein cooler Hotspot"

DER STANDARD hat sich zum Test in das neu eröffnete Etablissement begeben – zum Bart- und Haareschneiden, nicht zum Tattoostechen. Das schien dann doch etwas zu permanent.

Der Stil des Lokals sei zwischen "poshy" und "urban" angesiedelt, erklärt Storemanager Memo. Er ist mit RAF Camora (bürgerlicher Name: Raphael Ragucci) befreundet, hat ihn nach einem Job gefragt – und da habe ihm der Rapper von dieser Idee erzählt. Ein "cooler Hotspot" mit Barbershop und Tattoostudio, "wo man auch abhängen kann", sagt Memo.

Wenn sich etwa fünf Kumpels Freundschaftstattoos stechen lassen wollten, könnten immer vier in der Lounge "Playstation zocken, während immer ein anderer tätowiert wird". Das Konzept habe RAF Camora in Barcelona gesehen und wollte es "unbedingt, unbedingt, unbedingt umsetzen".

Als Chef sei der in Berlin lebende Musiker präsent, ruft oft an und schaut auch immer wieder vorbei. Die Mitarbeiter haben allesamt ein Walkie-Talkie an der Hose stecken, an denen ein kleiner Ohrenstöpsel hängt: Jeder von ihnen ist ständig von überall im Lokal erreichbar.

Sechs Friseurplätze gibt es im Lokal, ebenso viele Tattoobänke – dazu kommt noch ein VIP-Separée. Die Ansprüche an Tätowierer und Barbiere sind hoch; der Cheffriseur hört auf den Namen Ümit und ist auch bei internationalen Profifußballern beliebt.

Wohlfühlpause

Der für diesen Bericht frisierte Bart hat zuvor nie eine professionelle Behandlung erfahren, wovon übelmeinende Menschen behaupten, dass man es ihm ansehe. Barbierin Lilly kümmert sich fast eineinhalb Stunden um Haupt- und Gesichtshaar – gründlicher und präziser, als das bisher jemand gemacht hat. Kostenpunkt: 55 Euro.

Das Messer ist scharf, die Haut das nicht gewöhnt. Dennoch halten sich die Irritationen in Grenzen – und das Ergebnis kann sich in Form einer klaren Kontur sehen lassen.
Foto: robert newald

Nicht zuletzt erweist sich der Besuch auch als Wohlfühlprogramm. Allein deshalb, weil der Blick aufs Handy wie alle anderen Bewegungen nicht ratsam ist, wenn ein Rasiermesser am Hals aufliegt. Normalerweise würde auch Wasser, Kaffee oder Red Bull serviert, Corona verhindert das derzeit.

Und auch das optische Ergebnis kann sich sehen lassen, bei aller Liebe zur Haaranarchie. Die sauber rasierten Konturen an der Wange korrespondieren gut mit dem Haaransatz an Schläfen und Stirn.

Nach der Auszeit im R gibt es nur einen Weg: wieder raus auf die Nußdorfer Straße. Dort bläst der Wind nun noch ein bisschen kälter auf die fast nackten Wangen. (Sebastian Fellner, 19.12.2020)