Eine dokumentarischen Arbeit von Turner-Preisträger Lawrence Abu Hamdan, in der es um Erinnerung geht.

Foto: Secession

In einen Keller zu steigen, aus dem solche Geräusche kommen, ist eigentlich kontraintuitiv, vor allem in Österreich. Aber was soll's, dort befindet sich nun einmal die Kunst. Konkret: Die audiovisuellen Arbeiten von Lawrence Abu Hamdan, einem der Turner-Preisträger 2019. Gleich die erste, After SFX, hat es in sich. Es ist nicht nur die schiere Lautstärke der Sechs-Kanal-Ton-Installation, die für ein Gefühl der Rundum-Bedrohung, der Überwachung sorgt. Die Geräusche stammen aus einem Soundarchiv, das Abu Hamdan auf Basis der Erzählungen von in einem syrischen Foltergefängnis Inhaftierten erstellte. Es sind keine Schreie oder dergleichen, aber dumpfe Schläge, die Geräusche von Türen, die geöffnet und geschlossen werden. Dazu wird ein Text projiziert, in dem Abu Hamdan die Gespräche mit den Häftlingen dokumentiert, interpretiert und aufschlussreiche Überlegungen zum sonst wenig beachteten Thema der Ohrenzeugenschaft anstellt.

"After SFX".
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Nuss ab

An einer Stelle berichtet er über die Audioeffekte in der Serie Game of Thrones. Dort verwendet man, so hat er es gehört, grüne Kokosnüsse, um den Sound von Enthauptungen nachzustellen – daraus leitet sich auch der Name der Ausstellung Green Coconuts and Other Inadmissible Evidence ab. Was in After SFX offensichtlich wird, ist, wie sehr wir als großteils in Sicherheit lebende Gesellschaft unser scheinbares Wissen über den Klang der Gewalt aus Film und Fernsehen nehmen. Wir glauben, wir wüssten, wie Maschinengewehre, wie Schüsse, wie Folter, wie Explosionen klingen, kennen aber eigentlich nur die Soundeffekte, die sich stellvertretend durchgesetzt haben. Eine zu Boden fallende Kokosnuss klingt für unsere Ohren also mehr nach Enthauptung als eine Enthauptung.

Kunst des Zuhörens

After SFX entstand ursprünglich aus einer in Zusammenarbeit mit Amnesty International getätigten Untersuchung, die über die Interviews mit den Häftlingen Rückschlüsse auf die Architektur, die Haftbedingungen oder die Anzahl der Gefängnisinsassen geben sollte. Auch die anderen Arbeiten von Abu Hamdan in der kleinen, aber sehr intensiven Ausstellung, der sich seit Jahren mit dem Zuhören als Kunstform beschäftigt, kreisen um Themen der Zeugenschaft und Erinnerung und hinterlassen einen einschneidenden Eindruck, der so sehens- wie hörenswert ist.

Karnevaleske Grafik

Wer dann noch aufnahmefähig ist, sollte sich auch mit den Arbeiten von Till Megerle im grafischen Kabinett quälen. Nicht weil sie schlecht wären, ganz im Gegenteil, sondern weil auch ihnen eine Gewalt innewohnt, die sich schwer ungesehen machen lassen kann. Die 13 rezenten Kleinformate des in Bayreuth geborenen und in Wien lebenden Zeichners (und Videokünstlers) lassen den Betrachter auf Körper treffen, die sich wie Strudelteig in die Länge ziehen.

"Ohne Titel".
Foto: Secession

Die Verzerrung steht als Metapher für eine Qual, die aus dem Inneren kommt und sich nicht genau benennen lässt. Die daraus resultierende Ausweglosigkeit spiegelt sich auf den leeren Gesichtern dieser mit Kugelschreiber, Buntstift, Kohle und Tusche skizzierten Kreaturen wider. Je länger man sie anschaut, desto mehr vermitteln sie einem das Gefühl, mehr über den Betrachter zu wissen, als er über sie. (Amira Ben Saoud, 22.12.2020)