Kerzen und andere Gegenstände an einem Schauplatz des Terrors in der Wiener Innenstadt. Die Aufnahme stammt vom 25. Jänner 2021.

Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Tagelang waren große Teile der Stadt nach dem islamistischen Terroranschlag in der Wiener Innenstadt vergangenen November in Schockstarre. Doch während für viele die Erinnerung an den Anschlag von Tag zu Tag mehr in den Hintergrund rückt, spüren viele, die direkt vor Ort waren, die Folgen des Anschlags auch heute noch deutlich: sei es durch Verletzungsfolgen, traumatisierte Partner – oder weil Angehörige zu den Todesopfern zählen.

Nun könnten die Behördenfehler, die die Terror-Untersuchungskommission in ihren beiden Berichten festhielt, auf juristischer Ebene Folgen nach sich ziehen. So hat eine Mutter einer jungen Frau, die vom Attentäter ermordet wurde, Klage gegen die Republik eingebracht, wie der "Kurier" zuerst berichtete. Der grundsätzliche Vorwurf: Die Behörden hätten durch korrektes Handeln verhindern können, dass der Anschlag stattfindet. "Nur aufgrund unterlassener und falscher Handlungen des BVT und des LVT (...) konnte K.F. am 2.11.2020 das Attentat begehen", heißt es in der Klagsschrift, die dem STANDARD vorliegt.

Verfehlungen der Behörden

Die wesentlichen Punkte, auf die in der Klage Bezug genommen wird, sind folgende: Die Gefahreneinschätzung durch den Verfassungsschutz hätte nach der Haftentlassung von K.F. früher erfolgen müssen. Tatsächlich erfolgte sie elf Monate nach der Entlassung. Ebenso hätten bestimmte Entwicklungen (das Treffen mit einer vermuteten Terrorzelle im Juli 2020, der versuchte Munitionskauf in der Slowakei) an die Staatsanwaltschaft gemeldet werden müssen. Der Zusammenhang wird so verdeutlicht: Bei einer Meldung an die Staatsanwaltschaft wäre K.F. aufgrund seiner Vorgeschichte in Untersuchungshaft genommen worden.

"Vor dem Hintergrund haben die Behörden grob fahrlässig agiert", sagt der Rechtsanwalt der Mutter, Norbert Wess. Geltend gemacht werden sollen jetzt Schmerzensgeld, Bestattungskosten und eine Haftung für künftige Schadenersatzansprüche in der Höhe von 125.000 Euro.

Weitere Opfer überlegen

Auch die Hinterbliebenen von zwei weiteren Todesopfern sowie selbst Betroffene überlegen eine entsprechende Amtshaftungsklage. "Aus meiner Sicht ist Behördenversagen vorgelegen", sagt Rechtsanwalt Mathias Burger, der die Eltern eines jungen Mannes vertritt, der erschossen wurde. Er sähe einen angemessenen Schadenersatz in der Größenordnung von 30.000 Euro pro Person. Ein entsprechendes Forderungsschreiben sei an die zuständige Finanzprokuratur übermittelt worden, sagt Burger. Zuerst wolle man versuchen, die Angelegenheit außergerichtlich zu klären.

Das betont auch Rechtsanwalt Karl Newole, der 17 Terroropfer vertritt. Darunter Personen, die angeschossen wurden, die psychisch traumatisiert sind, weil sie direkt dabei waren oder dem Attentäter gegenüberstanden, sowie die Familie eines getöteten Mannes. Newole will auch mit Innen- und Justizministerium das Gespräch suchen. "Man will als Betroffener ja nicht die Republik klagen, das ist psychisch ja ein Wahnsinn", sagt Newole. Aber: "Wenn alles nichts nützt, werden aber auch wir den Klagsweg beschreiten", sagt der Anwalt.

Entschädigungsfonds

Newole forderte bereits im Herbst die Einrichtung eines allgemeinen Entschädigungsfonds in der Höhe von 1,5 Millionen Euro. Unabhängige Gutachter sollten dann entscheiden, wie das Geld unter den Opfern aufgeteilt werde. Dieser Idee kann auch Wolfgang Gappmayer von der Verbrechensopferhilfe Weißer Ring etwas abgewinnen: "Bei Terror ist der Staat seiner Schutz- und Fürsorgepflicht nicht nachgekommen", sagt der Rechtsanwalt. Ein solcher Topf sei auch eine gute Idee, um etwaige Härtefälle abzufangen.

Die Regierung kündigte bereits an, dass ein derartiger allgemeiner "Terrorfonds" zur Entschädigung von Opfern eingerichtet werden solle. Über Ansprüche für die Terroropfer vom 2. November ist aber noch nichts bekannt.

Verbrechensopfergesetz

Grundsätzlich ist es auch möglich, bestimmte Entschädigungen nach dem Verbrechensopfergesetz zu beantragen. Etwa Schmerzensgeld, die Erstattung von Beerdigungskosten oder Unterhalt für Hinterbliebene. Klar ist mittlerweile: Das gilt auch für jene, die sich "nur" in der unmittelbaren Umgebung der Tatorte befanden, als der Anschlag stattgefunden hat. Das Schmerzensgeld erhöht sich je nach Schweregrad. Erlitt man eine schwere Körperverletzung, stehen einem 2.000 Euro zu, 12.000 Euro erhält man, wenn die Körperverletzung mit Dauerfolgen einen Pflegebedarf der Stufe 5 begründet.

59 Personen haben bisher einen Antrag nach dem Verbrechensopfergesetz eingebracht, insgesamt wurden bisher 66.198 Euro an 30 Personen ausbezahlt, wie das Sozialministerium auf STANDARD-Anfrage bekanntgab. 42 Personen haben um Psychotherapie oder Krisenintervention angesucht, 35 Anträge wurden bisher bewilligt.

Der Weiße Ring betreut 56 Personen längerfristig. Auch dort befasst man sich mit der Frage einer Amtshaftungsklage: "Es ist eine Variante, die wir auf jeden Fall diskutieren." Die Personen in Betreuung würden auf die Möglichkeit hingewiesen, wiewohl derzeit eher noch angeraten wird, auf mehr Informationen zu den Behördenabläufen vor dem Anschlag zu warten. (Vanessa Gaigg, 16.2.2021)