Die Leiterin des Wiener Belvedere Stella Rollig geht in ihrem Gastkommentar auf die Kritik an Österreichs Museumslandschaft ein – und rückt, aus ihrer Sicht, falsche Vorwürfe zu recht.

Eine diffuse Forderung nach einer Totalveränderung der Museen hat derzeit Hochkonjunktur. Wie es weitergeht, weiß derzeit niemand, schreibt Stephan Hilpold (siehe "Alles neu? Über die Zukunft der Museen", Stephan Hilpold; die kursiv gesetzten Stellen im Gastkommentar sind Zitate daraus). Nun, man könnte die Direktorinnen und Direktoren fragen. Die haben ziemlich genaue Vorstellungen davon, wie es weitergeht, das ist ihr Job. Es ist allerdings die große Zeit der Kulturkommentatoren, die sich mit ihren besorgten Diagnosen Gehör verschaffen: Das Museumsmodell, das bis zum Pandemiejahr 2020 die Museen von Erfolg zu Erfolg geführt hat, sei jetzt ein Entsorgungsfall, entsprungen allein der Hybris und Gier ihrer Leiterinnen und Leiter. Doch keiner der Kommentatoren hat ein neues Konzept, das dem über Jahrzehnte gewachsenen Gerüst und dem heute etablierten Geschäftsmodell Museum gerecht wird. Dieses ermöglicht mit hohen Einnahmen nicht nur teure Ausstellungen, sondern ebenso Ankäufe, Bildungsprogramme, Forschung, Investition in Sammlungspflege und Gebäude und vieles mehr.

Gustav Klimts "Kuss" war im Lockdown nur virtuell zu besichtigen. Das Gemälde ist eine Attraktion des Belvedere.
Foto: Ouriel Morgensztern

Die Forderung, Museen ganz neu zu denken, richtet sich nicht an alle Einrichtungen, obwohl sie pauschal ausgesprochen wird. Gemeint sind die großen Museen mit hohen Besuchszahlen und internationalem Renommee. Das beste Mittel, um in den Fokus des Missfallens zu geraten, sind Blockbuster-Ausstellungen, der Gottseibeiuns im kritischen Museumsdiskurs.

Die Blockbuster-Ausstellung ist zum exemplarischen Sündenfall der Museen geworden. Interessanterweise übersehen diejenigen, die Blockbuster-Ausstellungen verdammen und eine größere Hinwendung zu den Bedürfnissen des Publikums fordern, dass Blockbuster vom Publikum gemacht werden und nicht von Museen. Voraussetzung dafür sind die Medien als Verstärker des Museumsmarketings, die den programmierten Blockbustern den größten Raum ihrer schmalen Kulturseiten widmen.

Touristische Attraktion

Die angeblich museumsseitig geringgeschätzte lokale Bevölkerung, deren Anwaltschaft der kritische Museumsdiskurs übernommen hat, wird im wirklichen Leben von Blockbustern unwiderstehlich angezogen und freut sich darüber herzlich. Dass in der Besuchsstatistik der großen Museen – KHM, Belvedere, Albertina, um endlich beim Namen zu nennen, worum sich die meisten Kommentatoren drücken – die Zahl der touristischen Gäste gegenüber den inländischen überwiegt, hat mit einer massiven Verhaltensänderung zu tun, die seit Jahrzehnten zu beobachten ist (und die jede, jeder an sich selbst beobachten kann): Auf Urlaub, im Ausland besuchen auch solche Menschen Museen, denen das an ihrem Lebensmittelpunkt nicht oder nur selten in den Sinn kommt. Museumsbesuche sind weitgehend an touristische Aktivität geknüpft.

Jahrelang war man darauf bedacht, noch größere, noch spektakulärere, noch teurere Sonderausstellungen nach Wien zu holen. Schauen wir genauer hin. Einer der aufregendsten und erfolgreichsten Wiener Blockbuster der letzten Jahre war die Bruegel-Ausstellung, entwickelt im KHM aus der hauseigenen Sammlung im Netzwerk einer internationalen Forschungs- und Museengemeinschaft. Die Albertina, die immer wieder mit großen Namen für Aufsehen (und Blockbuster) sorgt, flankiert diese mit forschungsbasierten Projekten, etwa zur Entwicklung der Radierung um 1500. Im Belvedere programmier(t)en wir, ermöglicht durch einen berühmten Sammlungsbestand und hohe Einkünfte aus dem Tourismus, die Sonderausstellungen bildungs- und nicht massenorientiert. "Wir sind so frei, keine Blockbuster zu zeigen", postulierten wir 2018 und schrieben im Jahr darauf mit "Stadt der Frauen" österreichische Kunstgeschichte neu (erfolgreich, aber kein Blockbuster).

Jetzt rächt sich die Vernachlässigung der lokalen Bevölkerung auf katastrophale Weise. Diese Behauptung wird dadurch nicht wahrer, dass sie hoch im Kurs steht. Umfassende Vermittlungsprogramme für unterschiedliche lokale Zielgruppen (die vielgeschmähten Touristinnen und Touristen sind kaum Adressaten der Museumspädagogik) und – fürs Belvedere gesprochen – Freitagabende bei freiem Eintritt mit Gratisführungen, die Einrichtung eines Kinderateliers/Vortragssaals im Oberen Belvedere, Community Outreach, Nachbarschaftsforum, Diskussionen und Filmreihen im Belvedere 21. Sieht so Vernachlässigung aus?

Kein vollkommener Ort

Aus einem Ort der Artefakte müsse ein Ort der Begegnung werden. Orte der Begegnung gibt es viele, Orte der Artefakte sind nur Museen. Artefakte, Kunstwerke sprechen von Menschen zu Menschen, sie erzählen über Individuen in ihrer Zeit, sie sind Ausdruck wacher, gestaltender Zeitgenossenschaft. Darin liegt ihr emanzipatorisches Potenzial, ihre Kraft und Schönheit. Diese zu teilen, zu vermitteln macht das Museum zu einem Ort, an dem sich Gesellschaft bildet – im doppelten Sinn des Wortes. Diese Eigenschaft ist dem Museum inhärent, deshalb läuft der Vorwurf ins Leere, man habe auf das Museum als sozialen, öffentlichen Ort vergessen. Ein Museum ist nichts anderes als ein solcher.

Das Museum ist weder statisch noch sakrosankt. Es ist alles andere als vollkommen. Am Ende des bürgerlichen Zeitalters, angesichts von erodierender Demokratie, toxischem Nationalismus, von demografischem Wandel, von veränderten Wissensvoraussetzungen und von Digitalisierung muss es auf überkommene Selbstgewissheit verzichten. Es muss dringend diverser werden und zugänglicher. Wendiger und witziger (ja, auch das). Weiterhin lehrend, aber mehr lernend. Es hüte sich davor, die sogenannte Mehrheitsgesellschaft in ihrer vermeintlichen Überlegenheit zu bestätigen, damit muss Schluss sein.

Wir sind bereit, uns zu ändern, aber wir brauchen Verbündete. Kulturpolitik, Medien, die lokale Bevölkerung. Bis jetzt deutet nichts darauf hin, dass diese Akteure sich ernsthaft alles neu in den Museen wünschen. (Stella Rollig, 24.2.2021)