Hat entgegen vielen Erwartungen in der SPÖ immer noch das Heft in der Hand: Pamela Rendi-Wagner.

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Vor einem Jahr schien Pamela Rendi-Wagner am Tiefpunkt angelangt zu sein. Die Umfragewerte der SPÖ waren so mies wie der Ruf der Chefin unter vielen Funktionären. Als sie mit Start am 4. März auch noch eine Mitgliederbefragung über ihren Verbleib an der Parteispitze anzettelte, schwappte der Zorn an die Oberfläche. Dieser kuriose Akt der Selbstbeschäftigung, so der weitverbreitete Tenor, werde der Anfang von Rendi-Wagners Ende sein.

Es kam anders. Die bald 50-Jährige führt nicht nur immer noch die SPÖ an, sondern darf sich im Amt auch weitaus sicherer fühlen als damals. Wie hat sie das geschafft? Ein Erklärungsversuch in vier Kapiteln.

1. Die Gunst der Stunde

"Sie hat Glück gehabt": Dieser Grund fällt einem langgedienten Sozialdemokraten zuallererst ein. Die Mitgliederbefragung war noch nicht abgeschlossen, da brach die Corona-Pandemie herein. Was die Nation so arg gebeutelt hat, verlieh der SPÖ-Obfrau Rückhalt. Dass ein Putsch inmitten der beispiellosen Krise die Partei endgültig als sektiererischen Chaotenhaufen hätte dastehen lassen, ließ Umsturzgelüste versiegen. Außerdem: Wie lässt sich ein Aufstand organisieren, wenn man sich nicht einmal treffen darf?

Als sich die Infektionslage im Spätfrühling entspannte, war der Zeitpunkt wieder ungünstig: Schließlich wollte sich die einflussreiche Wiener SPÖ ungestört auf ihre Wahl im Herbst vorbereiten. Für die Zeit nach dem Urnengang hofften Unzufriedene aber auf eine Gelegenheit. So machten Wiener Genossen für den Plan Stimmung, mit Gesundheitsstadtrat Peter Hacker den einzigen roten Politiker zum Oppositionsführer zu küren, den die Bundesregierung fürchte. Doch Bürgermeister Michael Ludwig schloss sich der Idee nicht an – und dann rollte die zweite Covid-Welle mit ungeahnter Wucht durchs Land. Wieder ließ die Causa prima alle anderen Fragen schlummern.

2. Die Schwäche der Gegner

Im Ärger über Rendi-Wagner waren sich viele Funktionäre einig – doch eine überzeugende Alternative hatten sie nicht bei der Hand. Der gemeinsame Plan B fehlte ebenso wie der strahlende Ersatzkandidat. Der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser machte nie Anstalten, sich in den Dienst der Umstürzler zu stellen. Der Burgenländer Hans Peter Doskozil mag zwar größere Ambitionen hegen, diskreditiert sich aber mit ständigen Querschüssen in den Augen von Parteikollegen selbst und kämpft mit seinen Stimmbandproblemen. Dem Wiener Hacker hängen Zweifel nach, ob er auch als Zugpferd für konservativere Wähler taugt.

Außerdem drängt sich Nachfolgern in spe die Frage auf: Ist es nicht klüger, erst vor der nächsten Nationalratswahl aus der Deckung zu gehen, statt sich womöglich jahrelang in der Opposition zu verschleißen?

3. Die Stärken der Chefin

Bei der Mitgliederbefragung bewies Rendi-Wagner jenen Instinkt, der ihr gerne abgesprochen wird: Sie hat richtig eingeschätzt, dass sie unter den Parteimitgliedern offenbar mehr Sympathien genießt als unter Funktionären. Ob die 71 Prozent Zustimmung bei 41 Prozent Beteiligung wirklich ein durchschlagender Vertrauensbeweis waren, sei dahingestellt. Doch mit ihrem Stehvermögen hat sie sich selbst bei Kritikern Respekt erarbeitet.

Auch auf offener Bühne habe Rendi-Wagner an Statur gewonnen, befindet der Politikbeobachter Thomas Hofer, wobei ihr als Ärztin das Thema Nummer eins natürlich entgegenkomme: "Sie strahlt in der Corona-Debatte viel mehr Sicherheit aus als früher bei tagespolitischen Fragen und ist mit sachkundigen Positionen glaubwürdig."

Offenbar hat Rendi-Wagner, die sich kaum noch Schnitzer leistet, eine ansprechende Balance zwischen Opposition und konstruktivem Beitrag gefunden: Laut Umfragen ist die SPÖ mit 23 bis 25 Prozent zumindest wieder unangefochten zweitstärkste Kraft hinter der ÖVP.

4. Die Krise der Regierung

Der zarte Aufschwung nährt sich nicht zuletzt aus Fehlern der Regierung im Krisenmanagement. Überdies profitiert die SPÖ von der grünen Hilflosigkeit in der Flüchtlingsfrage und nun auch von der Korruptionsdebatte rund um die ÖVP. Was Rendi-Wagner lange als Nachteil ausgelegt wurde, könnte ihr in so einer Situation nützen, sagt der Beobachter Hofer: "Vielleicht ist der Typus der nicht gelernten Politikerin nun mehr gefragt."

Allerdings kann man das Glas auch halb leer sehen. Manche Genossen fragen sich, warum die Partei angesichts der taumelnden Koalition nicht schon viel besser liegt. Die interne Kritik an Rendi-Wagner hat zwar abgenommen – versiegt ist sie nicht.

Zu sehr als nüchterne Epidemiologin trete sie auf, heißt es etwa, zu wenig als Oppositionspolitikerin, die vor allem die Fehler der Regierung ausschlachtet. Es diene nicht gerade dem Stimmenfang, sagt ein Funktionär, "wenn in der Debatte um die Lockerungen ausgerechnet die SPÖ-Chefin die schlechte Nachricht überbringt, dass das alles unverantwortlich sein soll".

Rendi-Wagner sei im Kampf um die nächste Kanzlerkandidatur noch lange nicht durch, glaubt Hofer: "Aber immerhin ist sie noch im Rennen. Und sie tut alles dafür, um ihre Chance zu wahren." (Gerald John, 4.3.2021)