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Wo darf man noch sagen, was man wirklich denkt? Im Internet, meinen 29 Prozent der Befragten. Und 36 Prozent meinen, dies wäre am ehesten noch im privaten Kreis möglich.

Foto: Getty Images/Tobias Titz

Linz – Ihrem Selbstverständnis nach sind die Österreicherinnen und Österreicher tolerante Menschen, die gut damit umgehen können, dass andere anderer Meinung sind als sie selbst. Aber wenn es darum geht, frank und frei die eigene Meinung zu äußern, sind sie eher vorsichtig. 53 Prozent stimmen in einer Market-Umfrage der Aussage zu: "Das, was ich wirklich denke, behalte ich lieber für mich." 40 Prozent lehnen diese Aussage ab, sie stehen also zu ihrer Meinung; die restlichen sieben Prozent machen dazu schon in der anonymen Umfrage gar keine Angabe.

Die repräsentative Befragung im Auftrag des STANDARD zeigt deutliche Unterschiede zwischen ländlicher Bevölkerung (da halten 60 Prozent mit ihrer Meinung hinter dem Berg) und den Stadtmenschen: In Wien und den Landeshauptstädten stehen 50 Prozent der Befragten zu ihrer Meinung, 43 Prozent behalten sie lieber für sich.

Wer berufstätig ist und nur einfache Bildung hat, hält eher die Klappe als andere. Und es gibt auch starke Unterschiede entlang der Parteigrenzen: Während bekennende Wählerinnen und Wähler der Grünen und der Neos mit großer Mehrheit sagen, dass sie zu ihrer Meinung stehen, sagen zwei von drei FPÖ-Anhängern, dass sie sich oft mit Meinungsäußerungen zurückhielten.

Jeder Zweite sieht Tabuthemen

Warum das so ist? Weil man eben leicht aneckt. Dies ließ DER STANDARD mit folgender – unabhängig von den anderen Statements gestellten – Frage überprüfen: "Wie schätzen Sie das ein: Gibt es bei uns viele ungeschriebene Gesetze, welche Meinungen akzeptabel und welche tabu sind, oder eher nicht?"

Wiederum sagten zwei Drittel der FPÖ-Anhänger, dass es solche Tabuthemen gibt. In der Gesamtbevölkerung denken das immerhin 53 Prozent. Market-Institutschef David Pfarrhofer: "In einer vergleichbaren Umfrage in Deutschland, wo das Allensbach-Institut zu diesem Thema forscht, haben sogar 63 Prozent gesagt, dass es solche 'ungeschriebenen Gesetze' gibt. Und ebenso wie in Deutschland sagen bei uns 57 Prozent, dass es ihnen auf die Nerven geht, dass einem immer mehr vorgeschrieben würde, was man sagen darf und was nicht."

Die "Querdenker" lauern schon

Menschen, die das denken, könnten relativ leicht von "Querdenker"-Bewegungen mitgerissen werden, meint der Politikforscher Pfarrhofer – "und die FPÖ rüttelt ja auch immer wieder an gewissen Tabus, weil da manche Wähler vielleicht merken, dass sie mit ihren sonst wenig akzeptierten Meinungen eben doch nicht allein sind".

Allerdings sei das ein Minderheitenphänomen: Gut drei Viertel (78 Prozent) geben in der Umfrage schließlich zu Protokoll, dass die von ihnen geäußerten Meinungen von ihrer Umgebung großteils respektiert würden. Auf besonders hohen Respekt für ihre Meinungen stoßen die erklärten Anhänger von ÖVP und Grünen, was allerdings damit zu tun haben könnte, dass sich diese Personen in höherem Maße in ihren eigenen Kreisen bewegen. Dieselben Befragtengruppen geben nämlich auch überdurchschnittlich stark an, dass ihre Familien und Freunde "in den meisten Fragen so wie ich" denken würden.

Verschwörungstheorie über die "kleine Elite"

Und immerhin vier von zehn Befragten stimmen der in Verschwörungstheoretiker-Kreisen gängigen Theorie zu, dass eine kleine Elite vorgeben würde, "welche Meinungen man in Österreich ohne großes Risiko äußern darf".

Zwölf Prozent der Befragten – das entspricht immerhin einer Dreiviertelmillion Wahlberechtigten – geben an, "dass sich Kollegen und Bekannte von mir zurückgezogen haben, wenn sie meine wahre Meinung zu politischen Themen gehört haben".

Market erhob auch, welche Vorurteile einem bei freier Meinungsäußerung entgegenschlagen können. Jeder zweite Befragte meint, dass es einem in Österreich leicht passieren kann, dass man ungerechtfertigt ins rechte Eck gerückt wird. Von den FPÖ-Wählern glauben das sogar rund 80 Prozent, von den SPÖ-Wählern nur ein gutes Drittel. Umgekehrt glaubt nur einer von drei Wahlberechtigten, dass man hierzulande unberechtigt ins linke Eck gerückt werden könnte – hier gibt es keine sehr großen Unterschiede in den Parteiwählerschaften.

Meinungsäußerung in korrekter Sprache

Schließlich kommt es nicht nur darauf an, wo man seine Meinung frei äußern kann – 36 Prozent glauben, dass das nur im privaten Kreis frei möglich wäre –, sondern auch auf die Form. Hier ließ DER STANDARD erheben,

  • ob man rassistische Begriffe vermeidet, "weil sich andere dadurch verletzt fühlen könnten" – das tun 55 Prozent, nur die befragten Freiheitlichen tanzen aus der Reihe.
  • ob man eine gendergerechte Sprache verwendet – was 35 Prozent angeben, während es 55 Prozent, besonders die älteren Befragten, dezidiert ablehnen.
  • ob man es gut findet, wenn die Sprache in Kinderbüchern "korrigiert" wird – was jeder Vierte gutheißt, besonders jüngere und städtisch geprägte Befragte. Hier gibt es einen Vergleich mit Deutschland: Dort sind nur 14 Prozent dafür, die Kinderbücher umzuschreiben und etwa den "Negerkönig" in Pippi Langstrumpf in einen "Südseekönig" umzudeuten.
  • ob einen das Binnen-I stört – das ist bei 44 Prozent der Fall.
  • und ob die "Political Correctness" übertrieben würde, was 49 Prozent meinen – wobei es nur unter erklärten Grünen-Anhängern eine klare Mehrheit gibt, die glaubt, dass das nicht der Fall wäre.

Aber schließlich ist es auch die Grünen-Gefolgschaft, in der sich zwei Drittel manchmal schockiert zeigen, "dass Leute in meiner Umgebung ziemlich extreme politische Ansichten haben". Doch allgemein ist man, wie eingangs erwähnt, tolerant "und kann gut aushalten, dass andere eine ganz andere Meinung haben als ich" – das geben von denselben befragten Grünen-Wählern die allermeisten zu Protokoll. Eigene Intoleranz gestehen (sich) am ehesten Neos- und ÖVP-Wähler ein. (Conrad Seidl, 15.3.2021)