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Er war ein genauer Beobachter und Kommentator seiner Zeit, doch im Gegensatz zu seinem Bruder, der als Repräsentant eines anderen Deutschland zunächst hofiert wurde, nahm von Heinrich Mann im Exil kaum jemand Notiz.

Foto: Picturedesk.com / Ullstein Bild

Heinrich Mann gehörte zu den ersten Opfern einer Säuberungswelle, mit der sich die Akademie der Künste zu Berlin freiwillig in den Dienst des neuen Regimes stellte. Das war am 15. Februar 1933.

Vier Tage später verlässt er unauffällig Berlin und reist per Bahn nach Frankreich. Heinrich Mann notiert: "So sieht, will es scheinen, der Rubikon aus. Hinter dem verhängnisvollen Fluss, den ich wähle, liegt das Exil." Sieben Jahre später – am 12. September 1940 – muss der sechs Jahre ältere Bruder von Thomas Mann ein zweites Mal fliehen.

Der Weg führt ihn von Marseille über die Pyrenäen durch das neutrale Spanien nach Portugal. In Lissabon schiffen sich die Manns auf dem griechischen Dampfer Nea Hellas ein und erreichen nach neuntägiger Fahrt New York.

Die Aufzeichnungen in seinem Tagebuch zeigen den Autor als einen stets entschiedenen und kompromisslosen Gegner des Nationalsozialismus. Aber was Heinrich Mann über den von ihm bewunderten Dichter Victor Hugo schrieb: "Sein Optimismus hängt möglichenfalls damit zusammen, dass er nicht zu genau hinsieht" – dieses Urteil charakterisiert auch die eigene Haltung.

Politischer Romantizismus

Er hatte wie viele seiner prominenten Zeitgenossen die Machthaber des Dritten Reichs allzu lange unterschätzt. Ein Aufsatz aus seinem Essay-Band Mut ist im Ton typisch für diese Einstellung: "Die lang erwartete Rede des deutschen Führers ist erwartet worden, ohne dass man etwas von ihr erwartet hätte, außer in England. Aber man wartet gerne, es ist auf der Welt die beliebteste Beschäftigung …"

Heinrich Mann, ein Unpolitischer, der sein Zeitalter besichtigt? Manches spricht für diese These. Es war da viel die Rede von einem politischen Romantizismus, der im Exil zur bitteren Enttäuschung wurde, wobei er gerade im Exil, von Südfrankreich aus, einen erheblichen Teil seiner Kraft und Geschäftigkeit eben der Politik widmete, dieser "Hindenburg des Exils", wie Ludwig Marcuse gespottet hat.

Empfindungen einer beginnenden Resignation, einer menschlichen und geistigen Vereinsamung sind im Kriegstagebuch noch nicht zu erkennen. Stattdessen aber seine tiefe Enttäuschung darüber, dass das republikanische Frankreich, die Dritte Republik, der er sich so eng verbunden wusste, im Mai/Juni 1940 unter den Schlägen der deutschen Militärmaschine sang- und klanglos zusammenbrach.

Ultra-reaktionär

Was dem Dichter im Gegensatz zu seinem Bruder Thomas fehlte, waren Kälte und Ausdauer. Zu seinem 60. Geburtstag 1931 hatte ihn Gottfried Benn als einstigen Rauschästheten und Nietzsche-Jünger für sich reklamiert.

Und Thomas Mann erinnerte den Bruder an dessen längst vergessenen Erstling von 1894: "Einen Familienroman hattest auch du damals schon geschrieben. Er hieß sogar ,In einer Familie‘; er war Paul Bourget gewidmet, die studierte und delikate Psychologie des konservativen Franzosen war sein Vorbild – wie überhaupt deine konservative Periode in deiner Jugend lag."

Dem Hinweis war eine gewisse Perfidie zu eigen. Dass auch er in jungen Jahren für die rechtsreaktionär-antisemitische Zeitschrift Das zwanzigste Jahrhundert geschrieben hatte, hielten beide geheim. Seine damalige politische Einstellung offenbarte Heinrich Mann 1892: "Kurz und gut, ich bin, wie Du sehen kannst, so ziemlich ultra-reaktionär, und mein System ist das der Verdummung der Massen, welcher Zweck übrigens sämtliche Mittel heiligt (katholische Kirche usw.)."

In seinen Betrachtungen eines Unpolitischen schreibt Thomas Mann: "Der Typus (des) deutschen Anhängers der literarischen Zivilisation ist, wie sich versteht, unser radikaler Literat, er, den ich den ,Zivilisationsliteraten‘ zu nennen mich gewöhnt habe (…). Man ist nicht Literat, ohne von Instinkt die ,Besonderheit‘ Deutschlands zu verabscheuen (…); man ist beinahe schon Franzose, (…) Revolutionsfranzose."

Hoffnung auf die Republik

Das Publikum verstand sehr wohl, dass mit dieser Attacke niemand anders als Heinrich gemeint war. Sie stellte den Höhepunkt in der kritischsten Phase ihrer Beziehung zwischen dem Herbst 1914 und dem Januar 1922 dar.

Begonnen hatte dieser fundamentale Streit mit Thomas Manns Gedanken im Kriege von 1914. Heinrich erwiderte dies mit dem berühmten Zola-Essay, der eine verfehlte Entwicklung in Deutschland beklagte. In diesem Diskurs war der eine für den anderen taub. Thomas ahnt nicht, dass Heinrich ganz anders denkt, der von dem deutschen Angriff auf sein geliebtes Frankreich tief getroffen ist.

Zudem sorgt sich Heinrich auch um seine finanzielle Situation. Der Fortsetzungsabdruck seines Romans Der Untertan in der illustrierten Wochenschrift Zeit im Bild war vom Verleger jäh abgebrochen worden, weil er wegen der scharfen und satirischen Kritik des Autors am kaiserlichen Deutschland Schwierigkeiten mit der Zensur befürchtete.

Während Thomas vom Sieg des "deutschen Geistes" träumt und sich zum Begriff des "feierlichen Volkskrieges" versteigt, prophezeit Heinrich die Niederlage Deutschlands. Seine Hoffnungen richten sich frühzeitig auf die Gründung einer deutschen Republik. Die Brüder stehen gegeneinander.

Phasen der Aussöhnung

Der theoretische Ausdruck dieses Bruchs waren die programmatischen Essays von Heinrich Mann – Geist und Tat, Voltaire – Goethe, vor allem aber sein Aufsatz Zola, in dem er die Dritte Republik zum Gegenentwurf des kaiserlichen Deutschlands verklärte.

Es gelingt ihm, die Äußerungen über das Frankreich Napoleons III. auf das Deutschland Wilhelms II. zu übertragen: "Ein Reich, das einzig auf Gewalt bestanden hat und nicht auf Freiheit, Gerechtigkeit und Wahrheit, ein Reich, in dem nur befohlen und gehorcht, verdient und ausgebeutet, des Menschen aber nie geachtet ward, kann nicht siegen, und zöge es aus mit übermenschlicher Macht. (…) Ihr seid besiegt, schon vor der Niederlage."

Besonders behutsam gehen die beiden Brüder nicht miteinander um. Trotzdem kommt es immer wieder auch zu Phasen der Aussöhnung. Im amerikanischen Exil kam Heinrich Mann weder mit der fremden Sprache noch mit der dortigen Kultur zurecht. Er war in den USA auf Hilfe angewiesen, auf materielle, auch auf freundlichen Zuspruch.

Jagd nach Frauen

Im Gegensatz zu seinem Bruder, der als Repräsentant eines anderen Deutschland von den Amerikanern zunächst hofiert wurde, nahm man von Heinrich Mann im Exil kaum Notiz. Finanziell wird er von seinem Bruder unterstützt – trotz der ablehnenden Haltung der Familie gegen Heinrichs zweite Frau Nelly, deren fahriges Leben nach all den psychischen Zerrüttungen, die der Alkohol- und Tablettenmissbrauch bei ihr hinterlassen hatte, schließlich im Selbstmord endete.

Für Heinrich Mann, dessen Jagd nach Frauen (so ein Romantitel von 1903) ziemlich genau das Gegenteil von dem war, was der jüngere Bruder ertragen konnte, war Nellys Ende die Lebenskatastrophe schlechthin. Nach ihrem Tod orientierte er sich nur noch an "zwei Zeitabschnitte: so lange sie da war und seit sie fort ist". Heinrich Mann hat Europa nicht mehr wiedergesehen. Er starb am 12.März 1950 in Santa Monica, Kalifornien. Sein Grab liegt auf dem Dorotheen-Städtischen Friedhof in Berlin. (Wolf Scheller, 27.3.2021)