Ein Kerzen- und Blumenmeer an einem der Tatorte in der Wiener Innenstadt am Donnerstag, 19. November 2020.

Foto: APA/Fohringer

Die Aufarbeitung des islamistischen Terroranschlags von Wien im November 2020 wird bald auch vor Gericht weitergehen. Eine Frau – sie verlor dabei ihre Tochter – brachte bereits eine Amtshaftungsklage ein. Es wurde bereits ein Termin am Landesgericht für Zivilrechtssachen festgesetzt – DER STANDARD berichtete.

So wie es derzeit aussieht, wird es nicht bei dieser einen Klage bleiben. Denn zahlreiche weitere Opfer überlegen ebenfalls, juristisch gegen die Republik vorzugehen. Darunter 19 Personen, die von Rechtsanwalt Karl Newole vertreten werden. Es handelt sich um Hinterbliebene eines getöteten Mannes, um durch den Attentäter körperlich schwer Verletzte wie auch Personen mit psychischen Schäden, weil sie unmittelbar in das Tatgeschehen involviert waren.

Folgen des Attentats

Vor wenigen Wochen übermittelte Newole im Namen seiner Mandanten ein Schreiben an die Finanzprokuratur, die Anwältin der Republik. Dem Schreiben beigefügt ist eine Tabelle mit Ansprüchen, die Newole für seine Mandanten aufgrund der erlittenen Schäden geltend machen will. Das Forderungsschreiben ist ein weiterer Schritt in Richtung einer Amtshaftungsklage.

"Bei den allermeisten blieben zumindest bis jetzt Traumaschäden, Schockschäden, Trauerschäden und Depressionen zurück, abseits von den physischen Verletzungen und Schmerzen", schreibt Newole. Es sei "evident, dass die staatliche Sicherheitsverwaltung im Vorfeld des Attentats gravierende Fehler begangen hat, die, wären sie nicht unterlaufen, dazu hätten führen müssen, dass das Attentat nicht an diesem Ort, nicht zu dieser Zeit und mithin nicht mit diesen Opfern stattgefunden hätte", wird weiters festgehalten.

Damit wird unter anderem Bezug darauf genommen, dass der Attentäter bereits im Sommer vor dem Anschlag im Zusammenhang mit vermuteten islamistischen Gefährdern observiert wurde, man zudem von einem versuchten Munitionskauf in der Slowakei Kenntnis erlangte, es aber erst im Oktober, weniger als einem Monat vor dem Anschlag, zu einer Bewertung durch den Verfassungsschutz kam, die ihm "hohes Risiko" attestierte – und keiner der Sachverhalte an die Staatsanwaltschaft gemeldet wurde. Newole geht davon aus, dass der bereits zuvor einschlägig verurteilte und 2019 aus der Haft entlassene spätere Attentäter K.F., hätten die Behörden anders gehandelt, bereits im Juli 2020 "aus dem Verkehr gezogen" worden wäre.

Gerichtsverfahren vermeiden

Doch eigentlich will Newole ein Gerichtsverfahren vermeiden, wie er dem STANDARD sagt: Das sei eigentlich nur das letzte Mittel, das er ergreifen wolle. "Ich wende mich nun in einem letzten Versuch an Sie (…), um so vielleicht einen den Opfern ansonsten aufgezwungenen Amtshaftungsprozess doch noch zu vermeiden und zu einer dem außergewöhnlich traurigen Anlass entsprechenden fairen außergerichtlichen Bereinigung der Angelegenheit finden zu können", schreibt Newole an die Finanzprokuratur.

Bisher sei man bei der Regierung und im zuständigen Innenministerium auf taube Ohren gestoßen, was außergerichtlichen Austausch betreffe, sagt der Anwalt. Er bringt auch die Idee eines Mediationsverfahrens ins Spiel. Das Innenministerium verweist darauf, dass bisher sehr wohl ein Treffen mit Hinterbliebenen zustande kam, diese hätten selbst angefragt. Das Justizministerium will dazu keinen Kommentar abgeben.

Ebenfalls an das Innenministerium übermittelte Newole einen Fragenkatalog. Gestützt auf das Auskunftspflichtgesetz, begehrt Newole Antworten auf aus seiner Sicht noch offene Fragen wie jene: "Im Februar 2020 wurde offenbar dem HNA (Heeresnachrichtenamt Anm.) und in der Folge dem BVT bekannt, dass der spätere Attentäter mit einer anderen Person aus einem 'spezifischen Gefährderkreis aus dem IS' in Kontakt steht. Was wurde daraufhin veranlasst?" oder "Welche Maßnahmen wurden generell vorgesehen, um mögliche Gewalttaten des Attentäters vorab zu erkennen und gegebenenfalls zu verhindern?"

Verbrechensopfergesetz

Grundsätzlich stehen Verbrechensopfern Leistungen nach dem Verbrechensopfergesetz zu, wenn sie bestimmte Schäden, etwa Verletzungen, erlitten haben – auch unabhängig von der Schuldfrage der Behörden. Viele Opfer des Terroranschlags sind diesen Weg bereits gegangen. Laut Auskunft des zuständigen Sozialministeriums haben mit Stand 7. April bisher 68 Personen Leistungen beantragt, 41 Personen erhielten bisher eine Auszahlung. Zudem sind 46 Anträge von Opfern und Hinterbliebenen für Unterstützung für Psychotherapie oder Krisenintervention bewilligt worden.

Das Sozialministerium gab aktuell keine Auskunft darüber, wie hoch die ausbezahlten Leistungen bis dato waren. Mitte Februar wurden etwa 66.000 Euro an 30 Personen ausbezahlt. Grundsätzlich erhöht sich das Schmerzensgeld je nach Schweregrad. Bei einer schweren Körperverletzung stehen zum Beispiel 2.000 Euro zu.

Vor einigen Monaten war seitens der Regierung davon die Rede, einen allgemeinen Entschädigungsfonds für Terroropfer errichten zu wollen – ein Topf unabhängig von den bisher schon möglichen Ansprüchen nach dem Verbrechensopfergesetz. Es blieb jedoch offen, ob dies auch rückblickend für die Opfer des Anschlags von November 2020 angedacht ist. Newole forderte einen solchen Fonds in der Höhe von 1,5 Millionen Euro etwa schon im Herbst 2020. Auch die Verbrechensopferhilfe Weißer Ring kann dieser Idee etwas abgewinnen. Aus dem Sozialministerium heißt es dazu, dass die Einrichtung eines gesonderten Fonds zur Entschädigung von Terroropfern "derzeit auf politischer Ebene diskutiert" werde. (Vanessa Gaigg, 26.4.2021)