Politiker weltweit haben in den vergangenen 15 Monaten gezeigt: Wenn es darauf ankommt, können sie in den Krisenmodus umschalten. Es wurde herumgetüftelt, Notfallpläne wurden umgesetzt und Milliarden Staatshilfen lockergemacht, um die Frage der Fragen zu lösen: Wie kann das eigene Land aus dem Corona-Sumpf navigiert werden? Manchen gelang das besser als anderen, einig waren sich jedoch alle: Je länger die Krise ungebremst voranschreitet, desto höher werden langfristig die daraus entstandenen sozialen und wirtschaftlichen Kosten sein.

Dieser Stehsatz ist nicht neu. Mit dem gleichen Argument warnen Klimaforscher seit Jahrzehnten vor den Folgen der Erderwärmung.

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Was, wenn die Politik die Klimakrise nun gleichermaßen ernsthaft angehen würde wie die Pandemie? Welche Maßnahmen sind jetzt dringend notwendig? Auf dieses Gedankenexperiment hat sich DER STANDARD eingelassen und vier renommierte Klimaforscher befragt: Claudia Kettner-Marx vom Wifo, Gottfried Kirchengast von der Uni Graz, Helga Kromp-Kolb von der Boku und Gernot Wagner von der New York University. Die Antworten der Experten waren unterschiedlich. Diese Punkte wurden besonders häufig genannt und zeigen, in welche Richtung es gehen sollte:

Verkehr Hier gibt es großen Handlungsbedarf – vor allem in Österreich. Damit die Klimawende gelingt, müssen bestehende Mobilitätskonzepte überdacht werden, der motorisierte Individualverkehr ist nicht das Zukunftsmodell. Das bedeutet: Mehr Öffis, mehr Radwege, mehr Platz fürs Zufußgehen, dafür weniger Raum für Autos. Damit sich das Ziel der Klimaneutralität ausgeht, wird der Verbrennungsmotor ein Ende finden müssen. Wann genau dieses kommt, muss jetzt festgelegt werden – im Sinne der Autobauer und auch der Konsumenten.

Schnelles Fahren führt nicht nur zu mehr Verkehrstoten, sondern ist auch schlecht für die Klimabilanz. Eine einfach und kostengünstig umzusetzende Maßnahme mit viel Wirkung wäre die Reduktion der Höchstgeschwindigkeit von 130 auf 100 km/h auf Autobahnen und von 100 auf 80 km/h auf Landstraßen.

CO2-Preis und klare Ziele Nicht nur Autobauer brauchen Planungssicherheit, auch die Bevölkerung. Das wird bei der Einführung einer CO2-Bepreisung wichtig sein. Es muss also ein klares Ziel geben und einen Preis, der sukzessive ansteigt. Die Ökosteuerreform darf hier nicht enden. Neben einer sozialen Abfederung muss sichergestellt werden, dass nicht weiter in Maßnahmen und Projekte investiert wird, die schlecht für das Klima sind. Das gilt auch für Gesetze und Richtlinien. Darüber hinaus müssen stets die Klimafolgekosten und die Kohlenstoffspeicherung mitgedacht werden.

Damit all das gelingen kann, braucht es ein verbindliches Treibhausgasbudget, an dem sich Bund, Länder, Unternehmen und Bürger orientieren können – und zwar für jedes Jahr und jeden Sektor. Corona hat gezeigt, wie wichtig klare Zielvorgaben für die Bevölkerung sind, um Maßnahmen anzunehmen. Das ist auch beim Klimaschutz wichtig.

Raumgestaltung und Energie Auch in der Raumplanung braucht es ein Umdenken: mehr Grün statt Beton und Asphalt. Durch städtische Effizienz kann Klimaschutz besser gelingen als durch das Konzept der Zersiedelung. Nachhaltige Energiekonzepte müssen Teil der Stadt- und Grätzelplanung werden.

Vor allem in Österreich mit seinem föderalen System ist im Gebäudesektor das Ziehen am gemeinsamen Strang wichtig. Stichwort thermische Sanierung: Hier sind einheitliche Standards notwendig, damit fossile Heizsysteme bald der Vergangenheit angehören und Gebäude möglichst rasch mit erneuerbarer Energie versorgt werden.

Wissenschaft In der Corona-Krise gab es anfangs kaum Wissen über das Virus. Bei der Klimakrise gibt es diesen Startnachteil nicht. Covid hat gezeigt, wie wichtig es ist, dass politische Entscheidungen anhand wissenschaftlicher Fakten gefällt werden. Waren Epidemiologen die Stars der vergangenen Monate, sollten es jetzt Klimaforscher werden.

Im Klimaschutz gibt es einen weiteren Vorteil: Das Thema wurde bereits umfassend beleuchtet. Zwar gibt es unterschiedliche Lösungsvorschläge, welche Maßnahmen prioritär umgesetzt werden sollten, um die Klimakrise zu stoppen, dennoch herrscht breiter Konsens darüber, dass es geschehen muss.

An vielen Schrauben drehen

An einer Schraube alleine zu drehen reiche jedenfalls nicht, fasst die Boku-Meteorologin Helga Kromp-Kolb die bevorstehende Herausforderung zusammen. In Österreich vermisst die Expertin ein wirklich gutes Klimaschutz-Gesamtprogramm: "Wir machen einen Fleckerlteppich – was eben gerade koalitionsmäßig umsetzbar ist."

Ob Politiker Lehren aus der Covid-Krise ziehen werden, ist sich Wifo-Ökonomin Claudia Kettner-Marx nicht sicher. Mitzunehmen gebe es einiges, wichtig sei die Planbarkeit: "Die Corona-Krise zeigt, dass es durch Unsicherheiten und abrupte Änderungen schwieriger wird, Maßnahmen verständlich zu formulieren und die Menschen zu erreichen."

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Welche Lehren die Politik aus der Covid-Pandemie für die Zukunft zieht, wird sich erst zeigen.
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Trotz radikaler Einschränkungen im Vorjahr seien die Emissionen global um nur sieben Prozent zurückgegangen, sagt der Ökonom Gernot Wagner. Corona habe die Beschränkungen von Verhaltensänderungen im jetzigen System aufgezeigt, meint Wagner. Kleine Schritte würden daher nicht reichen: "Es bedarf eines Umdenkens im Großen."

Der Geophysiker Gottfried Kirchengast hat berechnet, was notwendig wäre, damit Österreich auf den Klimazielpfad kommt: Langfristig müssten die Emissionen im Land pro Jahr um fünf bis zehn Prozent sinken. Noch sei diese Notwendigkeit nicht allen klar, meint der Uni-Graz-Professor: "Das Denken im Geiste des europäischen Green Deals ist noch nicht überall angekommen." (Nora Laufer, 26.4.2021)