Weiterträumen will Wolf-Goetz Jurjans trotzdem – und die Fahne hochhalten, nicht nur am 1. Mai.

Foto: Andy Urban

Wolf-Goetz Jurjans zeigt mir den Raum im Rotpunkt, dem Parteilokal der Kommunisten in Wien-Margareten, der den Friedensrat, die Hiroshimagruppe und eine kleine Gruppe der Wiener Friedensbewegung beherbergt. Deren alte Kader dünnen langsam aus, dafür haben die Jungen Linken, die gerade den Raum davor renovierten, großen Zulauf.

"Die sind straff organisiert, da geht es resch zu", erzählt der Altkommunist, der den Jungen noch manchmal erklärt, wie der Hase läuft. "Man macht halt Angebote, manche nehmen’s an, manche nicht." Gibt’s also manchmal Brösel? "Na freilich!"

Jurjans ist heute 68, und er kommt selbst aus einer Zeit, in der man keinem über 30 traute. "Ich bin bei den Großeltern in der Neuen Heimat in Linz aufgewachsen, dritter Stock, selbst die Schutzbezüge hatten Schutzbezüge, so sauber war es." Aus dem Transistorradio hörte er Reden von Rudi Dutschke und das damals neue Liedgut: Dylan, Cohen, die Stones.

Nach links explodiert

Seine erste Platte war von den Kinks. Irgendwann spielte der Reinhard Mey in der Arbeiterkammer. Als 16-Jähriger war Jurjans freilich noch Mitglied des Bachl-Chors, benannt nach einem Professor, der mit seinen Mittelschülern dem Volk das Volkslied zurückbrachte. Er sang den zweiten Bass und spielte Klarinette, er trug sogar Tracht. Der Chor wurde zu internationalen Wettbewerben eingeladen, und so kam er das erste Mal nach Berlin.

Mit dem Bus fuhren sie morgens am Springer-Hochhaus des "Feindes" vorbei, und alle Scheiben waren intakt. Am Abend fuhren sie zurück, und alle Scheiben waren hin. Man schrieb das Jahr 1968, und er ging davon aus, dass die Revolution sich kontinuierlich nach vorne bewegen würde. "Aber das war das große Missverständnis!", sagt er und lacht sich die Raucherlunge heraus. Ohne Humor geht auch für einen Kommunisten nichts.

Der Großvater mütterlicherseits war Ingenieur bei den Flugzeugwerken in Wiener Neustadt und floh nach dem Krieg nach Linz, bis zum Schluss hielt er die Fahne hoch, aber die falsche. Dennoch war er wichtig, Heidegger und andere Philosophen lernte er über ihn kennen.

Väterlicherseits stammt Jurjans von Kolonialisten ab, die in Java Plantagen besaßen, es sprach also wenig dafür, dass er "nach links explodieren" würde. Es brauchte schon die Pubertät in der Mittelschule und eine Klassenvorständin, die ihn zum Psychologen schickte.

Dem beantwortete er die Frage nach seinen Zielen im Leben mit "Ein Mädchen und eine Gitarre!", ganz John Lennon. Zur Englisch-Matura musste er Mick Jaggers Rede interpretieren, die dieser anlässlich des Todes von Brian Jones gehalten hatte.

Technik und Langhaar

Danach kam er mit seiner Langhaarmatte ("Meine Burka!") nach Siezenheim zur Militärblaskapelle, wo man ihm aufgrund eines fehlerhaften Bluttests entließ. Der Großvater wollte, dass er danach etwas Technisches studieren sollte, er aber wollte seine Haare behalten.

Auch der Che wird mit dabei sein, obwohl der kein Margaretner ist: Wolf-Goetz Jurjans.
Foto: Andy Urban

Das Mittelding zwischen "Technik" und "Langhaar" hieß damals "Architektur". Vor der TU in Wien bildete sich eine Reihe mit 200 Leuten, er stellte sich zu dem, der daneben alleine herumstand: Herbert Kauer, Lebensfreund seither und damals "mit dem Baier Walter in der Mittelschule, der 1972 wegen Linksopportunismus aus der KJÖ ausgeschlossen worden war". Auf einmal war er selbst in der Bewegung.

Er wohnte mit seiner Freundin, mit der er nun 51 Jahre verheiratet ist ("was nicht absehbar war!"), im Studentenheim für Oberösterreicher im 7. Bezirk, Astrid arbeitete bei der Österreichisch-Sowjetischen Gesellschaft. Schnell war ein "Jugendzug" nach Moskau über Warschau und Minsk bis nach Leningrad bestiegen.

Imposante Ikonen

Eine Woche waren sie unterwegs, bei den jeweiligen Empfängen trafen sie auf die örtlichen Kader und deren Trinkgewohnheiten. Die Ikonen in den Kirchen am Roten Platz imponierten sogar ihm, dem Atheisten, so sehr, dass er einem mitreisenden kunstbeflissenen Sozi zuflüsterte: "Wenn wir das jetzt ausweißnen täten, dann täte das viel verlieren."

Sein erster Hund hieß Charly ("nach dem Marx"), und seine zweite Wohnung bezog er am Margaretenplatz 2, der heute mehr oder weniger dem Schlossquadrat-Gergely gehört, der, so hört man heraus, nicht Jurjans bester Freund ist. "Ich habe ihn anfangs für einen bewahrenden Konservativen gehalten, aber in Wahrheit ist er ein astreiner Neoliberaler", und die mag er halt wirklich nicht.

Auch nicht die "Entwickler", welche die Wohnungspreise auch im fünften Bezirk, der die engsten und kleinsten Wohnungen der Stadt und eine entsprechende Mieterstruktur hat, auf das Niveau der nördlich benachbarten Bobobezirke Mariahilf und Neubau heben wollen.

Angelpunkt

Ungleich lieber mochte er die Architektin und lebenslange Kommunistin Margarete Schütte-Lihotzky, bekannt für die Frankfurter Küche und als soziale Revolutionärin. So sozial und so revolutionär war sie, dass die Sozis ihr Berufsverbot erteilten. Der Architekt Schweighofer, sein Professor an der TU, entdeckte sie wieder und holte sie 80-jährig an die Uni.

"Die wurde mein Angelpunkt", sagt er, und sie blieb es, auch als Renate Brauner, die ehemalige SP-Stadträtin, sie für ihre Partei reklamierte. "So sind die Sozis!", sagt Jurjans, aber immerhin die Benennung eines Parks nach ihr freut ihn sehr. "Von zwölf Parks im Bezirk sind mittlerweile vier kommunistisch", lacht er.

Mit den Sozis in der Stadt tut er sich schwer: "Die Armen interessieren sie einfach nicht." Für die Sozis gelte: "Im Mittelpunkt steht der Mensch, und dort steht er im Weg." Die Sozis täten, was das Geld von ihnen erwarte. Er hingegen will Partizipation, Residenzwahlrecht, radikale Demokratie. Dafür brauche es Leute, die vermitteln und anführen können. Darum wurde er Bezirkspolitiker und nicht Architekt.

Wettlokale

Als die Buchhandlung der VHS in Margareten schließen sollte, demonstrierten 150 Leute dagegen, und er dachte: "Das ist ein interessanter Bezirk!" Natürlich kam statt der Buchhandlung ein Wettlokal, und die Sozis ließen es nicht nur zu, sondern ebneten dieser Entwicklung sogar den Weg. Dagegen kämpfte er zusammen mit anderen in der "Republik Reinprechtsdorf", ihr Slogan lautete "Glück für alle statt Wettlokale".

Die Glücksspielbetreiber mag er seither am allerwenigsten, "weil du die Häuser am besten leer kriegst, wennst Spiellokale drin hast, und gleichzeitig holst noch das letzte Geld aus den Hosen der Leute. Da rennt was ganz was Grausliches mit denen!"

In Wien sieht er viele Linke, die nie aus der eigenen Suppe rausschwimmen würden, "das hat eine unglaubliche Selbstbezüglichkeit". Viele meinten: "Taferl hoch, und alles ist gut!" Seine Politik im Bezirksparlament hingegen bedeute viel Aufwand, würde aber kaum wahrgenommen.

Lauter!

Die Linken müssten aufklären und die Leute, "die jetzt schon flüchten, saufen und depressiv sind", ansprechen, so könne dies Fluchtbewegung zum Stehen gebracht werden. "Die Daubrawa", erzählt er von einer Kommunistin, die bei den verschickten jüdischen Kindern dabei war und in England zum Widerstand kam, "war zum Schluss schwerhörig geworden und sagte bei den Sitzungen immer: ‚Lauter!‘"

Und lauter, so Jurjans, müssten auch sie werden, damit sie irgendwo da draußen von der nächsten Schütte-Lihotzky gehört würden, der nächsten Daubrawa. Die Linken, sagt er, wüssten ja gar nicht, welche Kräfte und Möglichkeiten in ihnen steckten!

Als Student fuhr er am Wochenende immer zu seiner Mutter nach Linz in die Garçonnière in der Goethestraße, in der "Stille Tage in Clichy" auf Oberösterreichisch nachgespielt wurde, noch heute gilt die Adresse als legendär. Die Mutter hatte immer zwei Flaschen Lambrusco bereit und Sardinentoast mit Mayonnaise, dann erklärte er ihr die Welt, und um drei in der Früh schlief sie ein.

Wie Castro kann Jurjans stundenlang dozieren, Reden beginnt er möglichst mit einem Schmäh: "Mit dem Geist ist es wie mit dem Fallschirm, er funktioniert nur, wenn er sich öffnet." Das entspannt die Leute, danach kann er stärkeren Tobak nachschießen: Keine Delogierungen! Vermögenssteuer! Erbschaftssteuer! "Geld ist zum Saufüttern da, es muss nur gerecht verteilt werden!" Eine Sozialmarktkarte für alle Armen, die damit in jedem Supermarkt einkaufen sollen!

Die Wolfsstimme

Gewiss wird manches davon ein Traum bleiben, aber er träumt halt immer noch mit Rio Reiser: "Der Traum ist aus, aber ich werde alles geben, dass er Wirklichkeit wird." So will die "Wolfsstimme" der Volksstimme, in der er monatlich seine Kolumne schreibt, auch die nächsten zwanzig Jahre noch träumen.

So wird er sich auch an diesem 1. Mai wieder um 9.30 Uhr mit den Genoss*innen treffen. Ein Freund wird die Traditionsfahne "mit den Goldfransen dran" schwenken, er selbst ein normales Fahnderl am Bambusstangerl, "nichts, was einem das Herz herausreißt, aber das passt". Der Che wird auch mit dabei sein, "obwohl der kein Margaretner ist", dazu Hammer, Sichel und Nelke.

Irgendwann, so der Plan, wird er seinen kommunistischen Leib, geselcht von zehntausenden Zigaretten und durchspült von dem einen oder anderen Wässerchen, der Medizin zur Verfügung stellen. Es ist nicht auszuschließen, dass dann eine rote Nelke aus ihm herauswachsen wird. (Manfred Rebhandl, ALBUM, 1.5.2021)