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Will beim grünen Pass erst einmal keine Rücksicht auf die EU nehmen: Kanzler Sebastian Kurz.

Foto: Reuters / Leonhard Foeger

Sebastian Kurz will unbedingt der Trendsetter sein. Spätestens ab Juni soll hierzulande ein grüner Pass den Bürgern heiß ersehnte Freiheiten wie den Besuch von Lokalen oder Veranstaltungen garantieren. Dass in der Europäischen Union gleichzeitig an einem gemeinsamen Modell für den digitalen Nachweis für Geimpfte, Genesene und Getestete gebastelt wird, beeindruckt Kurz nicht. Österreich werde den Pass "zuerst" einführen – noch ehe dieser, wie er leicht abschätzig anfügte, in der EU "auch noch kommen soll".

Vorpreschen ist eine Kernkompetenz des Kanzlers. Zu beobachten war dies etwa Ende des vergangenen Jahres, als Kurz ohne seriöse Vorplanung österreichweit Massentests durchpeitschen ließ. Herausgekommen ist eine schlecht getimte und von Pannen begleitete Hauruck-Aktion, deren Aufwand in keinem vernünftigen Verhältnis zum Nutzen stand. Die Regierung hat viel Geld und Energie verschleudert, ehe sie nach einer Nachdenkphase einen Modus fand, wie sich Testinstrumente sinnvoller einsetzen lassen.

Viele Einwände gegen einen Alleingang

Kurz’ Eile beim grünen Pass lässt einen ähnlichen Murks befürchten. Schon der Name gibt einen Hinweis darauf, dass das Projekt europaweiter Abstimmung bedarf – schließlich soll ein einheitliches Zertifikat gerade auch das Reisen ermöglichen. Entwirft Österreich jetzt ein eigenes Modell, das kurz danach wieder mühsam an die EU-Variante angepasst werden muss, droht Steuergeld beim Fenster hinauszufliegen.

Beunruhigend lang ist die Liste der Argumente von Ärztekammer und Fachleuten der Wirtschaftskammer gegen einen Alleingang: Sie reicht von technischen Fragen über rechtliche Grundlagen bis zum Datenschutz. Zu denken geben sollte auch der Einwand des Wiener Gesundheitsstadtrats Peter Hacker. Wenn erst die zweimalige Impfung einen echten Schutz biete, dann sollte im grünen Pass nicht schon der erste Stich als Freibrief gelten.

All das muss diskutiert werden, für Hektik besteht kein Grund. Die Frage der Technologie ist zweitrangig: Den allermeisten Bürgern wird es egal sein, wenn sie beim Wirtshausbesuch statt eines QR-Codes via App erst einmal nur einen konventionellen Nachweis in digitaler oder ausgedruckter Form präsentieren müssen – Hauptsache, das Bier ist kühl und das Schnitzel knusprig. Unzumutbar wäre hingegen ein Aufpreis, den die Allgemeinheit für ein unnötiges Prestigeprojekt zu zahlen hat – nur damit sich ein Kanzler mit dem Ruf schmücken kann, Vater des grünen Passes zu sein. (Gerald John, 1.5.2021)