"Eine Reform, die einfach ordentlich schiefgegangen ist", das sagen Verfassungsschützer über das Paket, das Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) für das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung geschnürt hat.

Foto: APA/ Roland Schlager

Innerhalb des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) galt sie als Autorität: Knapp 15 Jahre lang leitete Sibylle Geißler das Extremismusreferat, das unter anderem für staatsfeindliche Verbindungen, Links- und Rechtsextremismus zuständig ist. Seit Jahresbeginn ist die Beamtin in Pension, nun äußerte sie sich erstmals öffentlich zur geplanten Staatsschutzreform. Auf der Parlamentswebseite brachte Geißler unter ihrem Klarnamen eine Stellungnahme zum Gesetzesentwurf ein, in der sie nicht mit Kritik sparte.

Der Entwurf basiere "auf abstrakten strategischen Überlegungen", sei aber "im Wesentlichen praxisuntauglich", moniert Geißler: Er werde "weder den Bedarfen noch den Anforderungen einer effizienteren praktischen Verfassungsschutzarbeit und Handlungssicherheit" gerecht. Die langjährige Referatsleiterin stößt sich vor allem an der geplanten Auftrennung in Nachrichtendienst und Staatsschutz, die als Herzstück der von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) vorangetriebenen Reform gilt.

"Trennung in der in der Praxis nicht durchführbar"

Die Aufteilung produziere "Kompetenzkonflikte, Doppelgleisigkeiten, Informationsverluste": Das Kernproblem sei, dass eine BVT-Einheit künftig Einzelpersonen beobachte, um verfassungsgefährdenden Angriffen vorzubeugen; während eine andere Einheit in der erweiterten Gefahrenforschung Gruppierungen beobachte. Aber oft könne "die Einzelperson Teil einer kriminellen Gruppierung" sein – ist dann gewährleistet, dass die Informationen ohne Verluste vom einen Referat zum anderen fließen? Auch die Frage, wohin Informationen ausländischer Dienste fließen, sollte beobachtet werden. Dafür gäbe es dann zwar eine Informationsschnittstelle, doch "die Quantität des täglichen Informationsaufkommens" sowie die "fehlende Überblicksmöglichkeit" über die Daten in einzelnen Referaten stünden dem entgegen.

Auch die ÖVP-nahe Gewerkschaft öffentlicher Dienst (GÖD) bemängelt diesen Teil der Reformpläne: "Die angestrebte Trennung in die Bereiche Staatsschutz und Nachrichtendienst ist mit dieser Abgrenzung in der Praxis nicht durchführbar. Die Unterscheidung zwischen Gruppierung und Einzelperson ist sachlich nicht nachvollziehbar und de facto oft nicht möglich."

Personal nach Razzia 2018 "am Limit"

Die Trennung zwischen Staatsschutz und Nachrichtendienst würde auch für ein "Zweiklassensystem" bei den Bediensteten sorgen, warnt Geißler. Durch die Organisationsänderung müsste sich ein Großteil der Bediensteten neu bewerben – "ein Umstand, der auch langjährige MitarbeiterInnen verunsichert". Dabei seien die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch ständige Skandale und politische Einflussnahme nach der Hausdurchsuchung 2018 am Limit.

Die von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) durchgeführten Ermittlungen waren vom damals blauen Innenministerium befeuert worden, auch Geißler geriet als Zeugin ins Visier: Polizisten der Einsatzgruppe gegen Straßenkriminalität (EGS) durchsuchten unter Leitung eines blauen Gemeinderats stundenlang Geißlers Büro. "Unsicherheiten, Fluchtbewegungen, Gesundheitsprobleme, Misstrauen, Hilflosigkeit bis hin zu 'inneren Kündigungstendenzen' sind neben sukzessiver Verschlechterung der Arbeits- und Rahmenbedingungen Folgeerscheinungen mit fatalen Auswirkungen auf die Sicherheit in Österreich", beschreibt Geißler die Lage im BVT.

Direktor braucht kein juristisches Wissen

Insider, die sich nicht öffentlich dazu äußern dürfen, bestätigen den Missmut im Amt. "Das ist eine Reform, die einfach ordentlich schiefgegangen ist", sagt ein Verfassungsschützer zum STANDARD. Mittlerweile sollen sich schon Juristen aus dem BVT-Reformteam zurückgezogen haben, weil sie das Gesetz nicht mittragen können.

Schlecht aufgenommen wird auch die Idee des Innenministeriums, dass der künftige Direktor kein abgeschlossenes Studium für Rechtswissenschaften aufweisen muss. "Die GÖD fordert, dass (weiterhin) ein abgeschlossenes Studium der Rechtswissenschaften Ernennungserfordernis bleibt, da viele Entscheidungen in dieser Position juristisches Wissen erfordern", heißt es in der Stellungnahme der Gewerkschaft. Geißler geht sogar noch weiter: Für sie bedeutet diese Änderung, dass die "persönliche Verantwortbarkeit" des Direktors "geschmälert" werde.

Die durch den Terroranschlag vom 2. November 2020 ins Scheinwerferlicht gerückten Probleme im BVT würde die Reform jedenfalls nicht lösen, schreibt Geißler. Und sie schließt ihre Stellungnahme mit Sätzen, die bislang öffentlich nicht aus BVT und Innenministerium zu hören waren: "Abschließend erlaube ich mir in diesem Rahmen die Möglichkeit zu nutzen, mich öffentlich bei den Opfern und Angehörigen des Terroranschlags vom 2.11.2020 zu entschuldigen und mein ehrliches Bedauern darüber auszudrücken, dass es uns nicht gelungen ist, diesen Terroranschlag und deren Leid zu verhindern." (Fabian Schmid, 10.5.2021)