War zuletzt im Decentraland zu sehen: digitale Malerei aus der Werkserie "Sext".

Galerie König

Addie Wagenknecht grundiert und programmiert, die Drohne malt: "Black Hawk Painting"-Performance.

Bitforms Gallery

Wenn Addie Wagenknecht sich Concealer auf die Augenschatten tupft oder eine reinigende Gesichtsmaske auflegt, geht es nicht um gutes Aussehen, sondern um gutes Passwort-Management. Spoiler: "fluffy1985" ist nicht die Lösung. Skincare and Opsec Forever aber schon. So heißen die Youtube-Lektionen über Computersicherheit, die Wagenknecht im Stil von Beauty-Tutorials produziert. Da diese vorwiegend von Frauen konsumiert werden, ist auch die Zielgruppe definiert: Frauen seien häufiger von Cyberstalking oder Online-Bashing betroffen, sagt die Künstlerin, deren Tipps für Datenverschlüsselung und gegen Trolle ebenso nützlich wie humorvoll sind.

Um digitale weibliche Selbstbehauptung für Fortgeschrittene geht es bei Deep Lab, einem von Wagenknecht gegründeten feministischen Hackerinnenkollektiv, das auf mehr Vielfalt in der männlich dominierten Tech-Szene pocht. Open-Source-Technologien, Robotik, Überwachungssysteme sind Themen, mit denen sich Wagenknecht sowohl als Forscherin als auch als Künstlerin beschäftigt.

On- und offline

Dass die von ihr zu Action-Paintern umprogrammierten Drohnen mitunter auch durch einen alten Holzstadel fliegen, liegt daran, dass es die 1981 geborene US-Amerikanerin, die mit ihren Arbeiten regelmäßig in internationalen Ausstellungen vertreten ist, vor mehr als zehn Jahren von New York nach Tirol verschlagen hat, wo sie mit ihrer Familie auf dem Land lebt.

Die virtuelle Welt ist ihr zweites Zuhause, wobei sie selbst mit solchen Unterscheidungen wenig anfangen kann. Die Grenzen seien längst verschwommen, auch im täglichen Leben würden wir ständig von online zu offline switchen, sagt sie. In der Kunst gibt es für Wagenknecht folglich "keinen Unterschied zwischen digitalen und analogen Arbeiten. Die Frage ist eher, für welchen Inhalt welches Medium das Richtige ist."

Im Fall der Werkserie Sext sind es Pixel: Wagenknecht übersetzt darin sogenannte Dickpics, also Penisbilder, die ihr geschickt wurden, in abstrakte digitale Gemälde. Arbeiten aus der Serie waren unlängst in der Ausstellung The Artist Is Online zu sehen, für die der deutsche Galerist Johann König eine Dependance auf der Plattform Decentraland eingerichtet hat und auf den NFT-Zug aufgesprungen ist.

Dass sich aktuell auch die traditionelle Kunstwelt hektisch auf das Thema Kryptokunst stürzt, beobachtet Wagenknecht mit der Gelassenheit einer Blockchain-Veteranin. "NFTs gibt es seit ein paar Jahren, Blockchains seit einem Jahrzehnt, mit beidem beschäftige ich mich schon lange. Jetzt gerade steigt das Grundverständnis und Interesse für das Thema, aber wir stehen erst ganz am Anfang einer Entwicklung, die die Kunstwelt nachhaltig verändern wird", glaubt sie.

Gerade durch die Pandemie, die auch den traditionellen Kunstbetrieb, Museen, Galerien und Ausstellungshäuser lahmgelegt und Reisen unmöglich gemacht hat, sei deutlich geworden, "dass es auch andere Modelle und ökonomische Kreisläufe braucht". Blockchain, sagt Wagenknecht, "verhilft Künstlerinnen und Künstlern zu mehr Unabhängigkeit, sie brauchen keine Galerie als Repräsentanten mehr, sondern übernehmen selbst die Kontrolle darüber, wie sie ihre Arbeiten präsentieren, wie sie sie verkaufen".

Überzeugte Hacktivistin

Ausgelöst wurde der aktuelle Hype um NFTs freilich ausgerechnet durch einen jener Millionen-Dollar-Deals, die auf dem klassischen Kunstmarkt das Maß aller Dinge sind: Es geht um den Verkauf eines NFT-Kunstwerks des amerikanischen Künstlers Beeple für umgerechnet 69 Millionen Dollar im März. Für Wagenknecht ist daran nicht der Rekordpreis interessant, sie beschäftigt vielmehr die Frage, wohin sich die neue Kryptokunstwelt entwickeln wird.

Das hätten auch die darin involvierten Forscher, Entwickler, Künstlerinnen und Künstler in der Hand, meint die überzeugte Hacktivistin. "Sicher: Es gibt Leute, die das große Geld mit Kunst, und solche, die das große Geld mit Technologien machen. Und es wird auch Leute geben, die viel Kapital aus Kunst und Technologie schlagen werden. Aber diese Systeme befinden sich im Aufbau, werden gerade erst entwickelt, und es geht jetzt darum, Möglichkeiten und Wege zu finden, um sie positiv zu verändern und anzupassen."

Pistole als Blumenvase

Was ihr eigenes Kunstschaffen betrifft, spielen neue Technologien sowohl als Arbeitsmaterial als auch als Thema eine wichtige Rolle. Dabei geht es auch um den gesellschaftlichen Umgang mit solchen Technologien. Etwa wenn Wagenknecht die erste 3D-modellierte Handfeuerwaffe, die als Open-Source-Code programmiert wurde und deren Anleitung online gratis zum Download zur Verfügung steht, zu unschuldigen Blumenvasen deformiert. (Ivona Jelčić, 14.5.2021)