Die Raketenangriffe der in Deutschland und Österreich als terroristische Organisation verbotenen Hamas aus dem Gazastreifen auf die Zivilbevölkerung des jüdischen Staates und der von der Netanjahu-Regierung angeordneten maßlosen Luftschläge mit zahlreichen zivilen Opfern haben inzwischen eine zweite Front innerhalb Israels zwischen jüdischen und arabischen Israelis (20 Prozent der Bevölkerung) eröffnet.

Der israelische Schriftsteller und mutige Friedensaktivist David Grossman betrachtet die Gewaltausbrüche infolge der "Hinwendung zu den Extremen" als das Beunruhigendste. Für die tieferen Ursachen der Eskalation siehe Eric Freys Kommentar im STANDARD.

Die Raketenangriffe der Hamas auf die Zivilbevölkerung des jüdischen Staates und der von der Netanjahu-Regierung angeordneten Luftschläge haben eine zweite Front innerhalb Israels zwischen jüdischen und arabischen Israelis eröffnet.
Foto: AFP/EMMANUEL DUNAND

Das zynische Kalkül der terroristischen Hamas, die ihre Raketenabschussvorrichtungen bewusst in dicht bewohnten zivilen Gebäuden, Schulen, Spitälern versteckt, geht auch international auf. Die Bilder von Kindern und Zivilisten als Opfer der israelischen Antwort auf die Raketen und die von antijüdischen Hassparolen begleiteten und in sozialen Medien eingesetzten schockierenden Videos lösen bei muslimischen Jugendlichen ohnmächtige Wut aus. Zu den "alteingesessenen" Antisemiten und Rechtsextremen gesellt sich der Hass auf Israel, der in Deutschland und auch in Österreich vor allem von den Einwanderern kommt, denen der Unterschied zwischen Staatsbürgern jüdischen Glaubens und Israel fremd ist und die "die" Juden für die Politik Israels verantwortlich machen.

Antisemitische Verschwörungstheorien

"Was auf den Straßen geäußert wurde, hat nichts mehr mit Kritik an Israel zu tun, das ist purer Hass und Antisemitismus. Im Internet geht die Radikalität bis hin zu Mordaufrufen", sagte Thüringens Verfassungsschutzchef. Judenfeindlichkeit werde von praktisch allen nennenswerten aktiven islamistischen Organisationen in Deutschland vertreten. Der Judenhass sei ein gemeinsamer Nenner, betont Thomas Haldenwang, der Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Nicht nur der Leitartikler der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung findet es empörend, dass in "einem Land, das für den millionenfachen Mord an Juden verantwortlich ist", in Berlin, Gelsenkirchen, Münster und anderswo antisemitische Parolen geschrien, israelische Flaggen verbrannt und Drohkulissen vor Synagogen aufgebaut wurden.

Das wohl international schändlichste Beispiel für die Zunahme antisemitischer Verschwörungstheorien während der Corona-Pandemie lieferte allerdings am Freitag Österreich. Ein berüchtigter Veranstalter von Corona-Protestdemonstrationen hatte ausgerechnet in Mauthausen auf einem Anhänger vor einer Israel-Flagge stehend eine Hitler-Rede abgespielt, nicht zufällig zur selben Zeit, als Bundespräsident Alexander Van der Bellen in der KZ-Gedenkstätte einen Kranz in Gedenken an die NS-Opfer niederlegte.

Spitzenpolitiker von Berlin bis Wien und Linz haben schnell und einhellig die Hetze verurteilt. Die unheimliche Dynamik des Judenhasses bedroht nicht nur das von Hitler-Deutschland und seinen Vasallen dezimierte europäische Judentum, sondern letztlich die Grundlagen der liberalen Demokratie.

Machen wir uns nichts vor: Der Kampf um die Köpfe der Jungen (nicht nur aus Syrien!) ist bisher verloren gegangen. (Paul Lendvai, 18.5.2021)