Neue Mitbewohner im Orientzimmer: Ganz willkommen scheinen sie im neuen Ambiente nicht.
Foto: Aslan Kudrnofsky / MAK

Allein schon die Anreise ist es wert. Vom Schottentor nimmt man die Straßenbahnlinie 41 Richtung Pötzleinsdorf. Vorbei an grünen Alleen, protzigen Villen und Gruppen junger Vorstadtmenschen. Stolze zwölf Stationen kann man sich auf dem Holzsitz zurücklehnen, den Ausstieg verpasst man kaum – erst bei der Endstation muss man die Tram verlassen. Danach gilt es noch, eine etwas steile Gasse hochzuwandern. Am Ende steht dann das Geymüllerschlössel auf einer kleinen Anhöhe.

Dieses Biedermeierjuwel am Rande Währings wurde nach 1808 im Auftrag des Wiener Handelsherrn und Bankiers Johann Jakob Geymüller als sommerliche Residenz errichtet. Heute ist es Außenstelle des Museums für angewandte Kunst Wien (Mak) und einer der wenigen österreichischen Orte, wo ein so originalgetreuer Einblick in die biedermeierliche Ausstattungskunst präsentiert wird. Die Möbel, Einrichtungsobjekte, die beeindruckende Uhrensammlung Franz Sobeks sowie der zugehörige Schlossgarten werden immer wieder Werken zeitgenössischer Künstlerinnen und Designer gegenübergestellt.

Unter dem Titel Dissolution wird dies aktuell von dem heimischen Künstler Erwin Wurm getan. Zum ersten Mal werden die aus gleichnamiger Serie stammenden Skulpturen, die zwischen 2018 und 2020 entstanden, in musealem Kontext gezeigt. Dass das in diesem Ambiente natürlich kein herkömmlicher ist, stellt die Keramiken in einen spannenden Kontrast.

Das Keramiken-Duo "Double Navel" in Blassrosa.
Foto: Aslan Kudrnofsky / MAK

Ohren und Uhren

Noch bevor man die gewundene Treppe hinauf in die Hauptetage betritt, eröffnet eine erste Skulptur mit herausgestreckten Fingern den Parcours – und deutet schon nach oben. Dorthin schreitet man sogleich: Inmitten des schweren Mobiliars, unzähliger opulenter Uhren (sie sind überall, sogar in den Lampen), Gemälden und Büsten klotzen da plumpe weiße Sockel. Von ihnen glotzen plastische Massen, zerrinnenden Körpern gleich, einem entgegen. Wie Fremdkörper haben sich Wurms Arbeiten hier in den Salons eingenistet.

Auf Namen wie Female, Double Navel oder Belly Cheek getauft und mit Babyblau und Blassrosa glasiert, weisen die sonst abstrakten Objekte einzelne Körpermerkmale auf: Finger, Ohren, Nabel, Nasen, Bäuche, Busen, Bauchfalten, Münder, Hände. Die amorphen Körperteile ragen oder stülpen sich teils aus den Klumpen heraus, treten in Kontakt mit dem Raum – oder versuchen es zumindest.

So beispielsweise im Orientzimmer, wo zwei surreale Schmelzkörper vor einer "exotischen" Wandzeichnung und einer Marmorbüste Platz genommen haben. Ganz zu klappen scheint der Austausch der Objekte noch nicht. Aber sie haben Zeit, sich aneinander zu gewöhnen, bis Dezember werden sie zu Besuch im Außenbezirk bleiben. Hier sind sie jedenfalls sicherer – in der Innenstadt wurde erst gestern eine Wurm-Skulptur gestohlen! (Katharina Rustler, 18.5.2021)