Alexander der Großen nannte es im vierten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung Mesopotamien, das Land "zwischen den Flüssen" Euphrat und Tigris. Seit Ptolemäus wird die Region von der Südosttürkei bis zum Persischen Golf und dem Norden der syrisch-arabische Wüste so bezeichnet. Hier wurde nicht nur die Landwirtschaft erfunden, auch die frühesten kulturellen Entwicklungszentren entstanden auf diesem Gebiet.

Doch bereits lange vor den ersten Hochkulturen kam es in diesem Teil der Welt zu entscheidenden Weichenstellungen, die Auswirkungen auf die Wanderungsbewegungen und Evolution großer Säugetiere und unserer menschlichen Vorfahren hatten. Ein internationales Forscherteam rekonstruierte zehn Millionen Jahre Klimageschichte der Arabischen Halbinsel anhand von Daten, die sie aus Gesteinen Mesopotamiens gewannen. Daraus ergaben sich neue Hinweise auf die Ursachen der Wanderungen.

Das Zagros-Gebirge (im heutigen Iran) begrenzt Mesopotamien im Osten. In Gesteinen aus seinem Vorland sind zehn Millionen Jahre Klimageschichte archiviert.
Foto: Madelaine Böhme

Die Evolution der heutigen afrikanischen Savannenfauna vollzog sich in den vergangenen fünf Millionen Jahren in relativer Abgeschiedenheit. Das war seit längerem bekannt – wie auch die Tatsache, dass die Vorfahren vieler Savannentiere wie Nashörner, Giraffen, Hyänen und Großkatzen aus Eurasien stammten. Was jedoch die Tiere zu diesem großräumigen Ortswechsel zwischen den Kontinenten bewog, war bisher unklar.

Steinernes Klimaarchiv

Die nördliche Arabische Halbinsel ist das Tor zu Afrika. Sie umfasst heute sowohl Wüstengebiete wie die Syrische Wüste, die israelische Wüste Negev und die saudische Wüste Nefud als auch feuchtere Steppen und Halbwüsten im Zweistromland, dessen größter Teil auf dem Gebiet des heutigen Irak liegt. Die Gruppe unter der Leitung von Madelaine Böhme vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen untersuchte die 2,6 Kilometer mächtigen Gesteinsschichten am Fuße des Zagros-Gebirges im heutigen Iran, am Rand Mesopotamiens.

Die Wissenschafter fanden Belege für vier kurze, nur jeweils wenige Zehntausende Jahre währende Phasen der Wüstenbildung in Mesopotamien. Diese Phasen vor 8,75 Millionen, 7,78 Millionen, 7,5 Millionen und 6,25 Millionen Jahren wurden jeweils durch Abschnitte mit feuchterem Klima unterbrochen. "Vor 5,6 Millionen Jahren, zeitgleich mit der vorübergehenden Austrocknung des Mittelmeers, kam es in Mesopotamien zu einer 2,3 Millionen Jahre lang andauernden extremen Dürre", sagt Böhme. Diese außergewöhnlich langanhaltende Periode mit Wüstenklima – von Böhmes Team als NADX (Neogen Arabian Desert climaX) bezeichnet – sei erst durch eine globale Erwärmung vor 3,3 Millionen Jahren beendet worden.

Video: Das Entstehen und Vergehen von Wüsten in den vergangenen Jahrmillionen hat sich auf die Wanderungsbewegungen und Evolution großer Säugetiere und unserer menschlichen Vorfahren ausgewirkt.
Eberhard Karls Universität Tübingen

Wüstenschaukel zwischen Afrika und Nahost

"Anders als wir erwartet hatten, stimmten diese Wüstenphasen auf der Arabischen Halbinsel nicht mit denen in der afrikanischen Sahara überein", erklärt Böhme. Die Wüstenbildung in der Sahara sei ursächlich an polare Eisbildungen geknüpft, so die Ergebnisse. Die Ausbreitung von Wüsten auf der Arabischen Halbinsel und in Mesopotamien hatte dagegen mit dem niedrigen Wasserspiegel im Kaspischen Meer zu tun. "Das wechselseitige Entstehen und Vergehen von Wüsten in der Sahara im Norden Afrikas einerseits und auf der Arabischen Halbinsel im Westen Asiens andererseits gleicht einer Art Schaukel, einer Wüstenschaukel", sagt die Forscherin.

Das Forscherteam vermutet, dass diese wechselnden und zunächst kurzzeitigen Wüstenbildungen in Mesopotamien als Push-Faktoren die treibende Kraft für die Ausbreitung der Säugetiere aus Eurasien nach Afrika waren. In der folgenden extrem langandauernden Wüstenphase NADX sei hingegen der afrikanische Kontinent für 2,3 Millionen Jahre von Einwanderungen und vom Austausch mit Eurasien abgeschnitten gewesen, schreiben die Wissenschafter im Fachjournal "Nature Communication Earth & Environment".

Isolation und Austausch

"In dieser Zeit entstand aus den eurasischen Einwanderern die heutige afrikanische Savannenfauna, und die Australopitheciden entwickelten sich, unsere menschlichen Vorfahren", erklärt Böhme. Mit der globalen Warmperiode vor 3,3 Millionen Jahren wichen die Wüsten in beiden Kontinenten und beendeten die Isolation Afrikas, zwischen den Faunen Afrikas und Eurasien entstand ein wechselseitiger Austausch. In Afrika erschienen erste Hunde, Schweine und Schafe, nach Eurasien wanderten die Vorläufer des Mammuts und des Asiatischen Elefanten ein.

"Aus unserer Studie ergeben sich erstmals klimatologische Erklärungen für zwei zentrale Phänomene", fasst Böhme zusammen. Zum einen untermauerten diese die von ihr formulierte ‚Out-Of-Europe‘-Hypothese, nach der sich die Vorfahren von afrikanischen Menschenaffen und Menschen in Europa entwickelten, vor sechs bis sieben Millionen Jahren jedoch Richtung Süden wanderten, sodass sich ihre weitere Evolution in Afrika abspielte. Zum anderen ließe sich so erklären, warum die Evolution der afrikanischen Savannenfauna, einschließlich der menschlichen Vorfahren, in einer langen Phase der Abgeschiedenheit stattfand. (red, 23.5.2021)