Makellos im Kolonialwarenladen: Sopran Nicole Car (Marguerite).

Foto: Staatsoper/Pöhn

Der Applaus vor Beginn der Aufführung war rauschend. Strahlend hatte erst Staatsoperndirektor BogdanRoščić das Publikum nach Monaten der erzwungenen Abstinenz willkommen geheißen, danach wurde das Staatsopernorchester begrüßt. Nach dreieinhalb Stunden Oper plätscherte der Beifall nur mehr freundlich-erschöpft dahin; lediglich bei Adam Palka (Méphistophélès) und Étienne Dupuis (Valentin) stiegen die Pegel kurz an.

Frank Castorf musste nach der Publikumspremiere seiner Inszenierung von Gounods Faust allerdings einen Sturzbach von Buhs von ganz oben, also von Balkon und Galerie, aushalten.

Fallweise amusisch

Zu Recht? Castorf hatte sich fallweise als amusischer Opernregisseur entpuppt. Der 69-Jährige ließ Faust und Marguerite im Kabäuschen vor Livekameras kopulieren, als die Erregungskurve der Musik längst erschlafft war. Auch der Versuch, in der Figur der Marguerite Unschuld mit Bordsteinschwalbe zu paaren, ging eher in die Hose. Die Drehbühne war mit einem klischeemalerisch gezeichneten Patchwork-Paris und reichlich Realo-Trash vollgekrempelt, ein bisschen Kolonialismus- und Kapitalismuskritik fand dabei auch noch Platz: Business as usual also beim Stuttgart-Import des Theatermachers. Nur für den (teils großartigen) Chor wurde es eng.

Die Heldinnen des Abends waren die Frauen: Nicole Car gab die Marguerite im Palina-Rojinski-Look und mit makellosem Sopran; Michèle Losier betete ihre Kollegin (als Siébel) mit einem formvollendet eleganten, agilen Mezzo an.

Blutsauger mit Charme

Palkas Teufel auf Erden tendierte stimmlich zu weichem Wohlklang ohne rechte Schärfe und diabolische Schwärze; der Komödiant Palka blieb sogar als Blutsauger ein Sympathieträger.

Dupuis‘ Valentin fesselte mit schnörkellosen Kantilenen samt Booster-Potenzial. Als Exilant aus dem Belcanto-Land versuchte Juan Diego Flórez einen Faust zu stemmen und seinen geschmeidigen "Tenore di grazia" mit hornissenhafter Dringlichkeit aufzupumpen: Dennoch gelang dem musterknabenhaften Publikumsliebling nur ein Fäustchen. Musterknabenhaft auch das Dirigat Bertrand de Billys, des Mannes für Pastelltöne und feine Klangtexturen.

Auch wieder zurück in der Staatsoper: die Bessergestellten-Pärchen, die die Aufführung spontan kommentieren und das leider nicht auf lautlos gestellte Handy checken: Pling! Pling! Kein Applaus dafür. (Stefan Ender, 21.5.2021)