Auch in der Justizanstalt Stein sind Maßnahmenhäftlinge untergebracht.

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Es sei ein "historischer Tag", sagte Justizministerin Alma Zadić (Grüne), als sie am Dienstag gemeinsam mit Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) vor die Presse trat: Seit fast fünfzig Jahren sei der Maßnahmenvollzug in seinem Kernbestand unverändert. Dafür, wie der österreichische Staat psychisch kranke Rechtsbrecher, die als gefährlich gelten, unterbringt, hagelt es seit Jahren massive Kritik. Auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gab es Verurteilungen. "Zu Recht", sagte Zadić.

Deshalb soll das System nun grundlegend reformiert und seine Treffsicherheit erhöht werden – so lautet das Ziel. Dafür hat die Regierung ein erstes Paket geschnürt, ein zweites soll in Kürze folgen.

Erstes von zwei Paketen

Das erste Paket beinhaltet Änderungen bei der Frage, unter welchen Voraussetzungen Erwachsene und Jugendliche im Maßnahmenvollzug landen – und damit auf unbestimmte Zeit weggesperrt werden können. Grundsätzlich werden hierfür die Hürden erhöht. Bei Erwachsenen muss künftig eine Straftat vorliegen, die mit einer Freiheitsstrafe von über drei Jahren bedroht ist (ausgenommen bleiben reine Vermögensdelikte) – oder Straftaten, die mit einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht sind, wenn gleichzeitig eine "besonders hohe Gefährlichkeit" von den Tätern ausgeht.

Für Jugendliche sollen erstmals eigene Regeln eingeführt werden. Diese sollen nur mehr bei einem Kapitalverbrechen, also einem Delikt, das mit mehr als zehn Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist, in der Maßnahme landen können.

Damit soll auf die Kritik reagiert werden, mit der die Justiz seit Jahren konfrontiert ist: Einerseits ist die Zahl der Personen, die im Maßnahmenvollzug landen, in den vergangenen Jahren massiv gestiegen – in den letzten fünf Jahren um ganze 60 Prozent. 1.300 "Untergebrachte" sind es derzeit insgesamt. Gleichzeitig ist der Anteil jener Personen, die Anlasstaten mit geringer Strafandrohung verübt haben, gestiegen. Es ist anzunehmen, dass künftig vor allem psychisch kranke Personen, die jemanden bedroht haben, nicht mehr so leicht im Maßnahmenvollzug landen werden. Eine Person, die während einer Psychose eine Drohung ausgesprochen oder jemanden gestoßen hat, soll künftig also vom Gesundheitssystem aufgefangen werden, sagte Zadić.

Eigenes Vollzugsgesetz

Massiv kritisiert wurden in der Vergangenheit allerdings auch die Zustände im Vollzug selbst. Diesbezüglich wurde ein zweites Reformpaket angekündigt, das auch ein eigenes Gesetz zum Maßnahmenvollzug beinhalten soll. Auch das unzureichende Angebot therapeutischer Behandlung soll Thema werden. Ebenso soll die verpflichtende Überprüfung der Gefährlichkeit tatsächlich innerhalb eines Jahres abgeschlossen werden müssen.

Eine wesentliche Neuerung betrifft allerdings einen Bereich, der zwar dem Maßnahmenvollzug zugerechnet werden kann, aber seit Jahren eigentlich als totes Recht gilt: Künftig sollen auch terroristische Straftäter als "gefährliche Rückfalltäter" eingestuft werden können und somit im Maßnahmenvollzug untergebracht werden können. "Zum ersten Mal in der Zweiten Republik" werde so etwas möglich, sagte Innenminister Nehammer bei der Pressekonferenz. "Damit ist die Möglichkeit gegeben, besonders gefährliche Terroristen länger hinter Gittern zu belassen."

Bestimmte Voraussetzungen

Es sind bestimmte Voraussetzungen erforderlich: Es muss zu einer zweiten einschlägigen Verurteilung kommen. Die Anlasstat muss ein Terrordelikt mit einer Verurteilung zu mindestens 18 Monaten Freiheitsstrafe sein. Zudem muss es bereits zuvor zu einer Verurteilung mit mehr als zwölf Monaten unbedingt gekommen sein und die Befürchtung vorliegen, dass weitere solche Straftaten begangen werden. Darüber soll das Gericht entscheiden. Diese Voraussetzungen bedeuten eine Senkung der Hürden, die für andere gefährliche Rückfalltäter derzeit gelten.

Der Unterschied zum Maßnahmenvollzug für psychisch Kranke liegt einerseits darin, dass die Höchstdauer der Unterbringung zehn Jahre beträgt (bei Personen unter 21 Jahren fünf Jahre), andererseits ist zuerst die Strafe, dann die Unterbringung zu vollziehen – und ob diese aufgrund der Gefährlichkeit noch notwendig ist, muss nach Verbüßen der Strafe überprüft werden.

Kritik von Experten

Das Vorhaben stehe vor keinen "grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Problemen", sagt Verfassungsexperte Bernd-Christian Funk in einer ersten Einschätzung zum STANDARD. Man müsse die Verfassungsmäßigkeit einer Maßnahme allerdings auch daran messen, wie zielführend diese sei. Und da stehe der Maßnahmenvollzug in puncto bisherige Erfolge, also Aussichten auf Verbesserung, derzeit nicht unbedingt gut da. Jedenfalls müsse es während der Zeit der Unterbringung ein "umfassendes Angebot an Deradikalisierungsmöglichkeiten" geben, meint Funk.

Strafrechtsexperte Alois Birklbauer bezeichnet diese Maßnahme im Gespräch mit dem STANDARD als "Anlassgesetzgebung ohne Notwendigkeit, die weder von der Zerbes-Kommission noch sonst jemandem empfohlen worden ist". Es könne sein, dass so die Bemühungen um Deradikalisierung im Strafvollzug "völlig untergraben" werden.

Ob der Terrorattentäter von November mit der neuen Regelung hätte gestoppt werden können, darüber waren sich Nehammer und Zadić nicht einig: Nein, meinte der Innenminister – es gelte sich aber auch bezüglich anderer Situationen zu wappnen. Zadić sah das anders: Spätestens wenn es wegen des versuchten Waffenkaufs in der Slowakei zu einer Anklage (und in weiterer Folge zu einer Verurteilung) gekommen wäre, hätte die neue Regelung greifen können. In der Praxis scheiterte dies vergangenes Jahr allerdings daran, dass die Behörden die entsprechenden Informationen nicht an die Justiz weitergaben. Auch dann hätte der Attentäter schon in Untersuchungshaft genommen werden können. (Vanessa Gaigg, 25.5.2021)