Die jüngste Eskalation im Nahostkonflikt brachte in Wien hunderte Menschen auf die Straße. Neben zahlreichen Jugendlichen, Anhängern islamistischer Gruppierungen, linken Splittergruppen sowie Salafisten waren auch Aktivisten aus dem Umfeld der Grauen Wölfe auf der propalästinensischen Demonstration vom 12. Mai zu sehen. Sie schwenkten türkische Flaggen und zeigten den Wolfsgruß, das verbotene Handzeichen der rechtsextremen Gruppierung, während antisemitische und antiisraelische Slogans durch die Mariahilfer Straße hallten.

Türkische Fahnen bei einer Anti-Israel-Demo in Wien.
Foto: Markus Sulzbacher

Das Auftreten der Grauen Wölfe sei kein Zufall gewesen, erklärt der in Oberösterreich lebende Publizist und Grünen-Politiker Thomas Rammerstorfer. Es passe zum Weltbild der Gruppierung, in dem klassisch nationalistische Verschwörungstheorien, teils mit antiarmenischer, teils mit antisemitischer Stoßrichtung, weit verbreitet sind. In den vergangenen Jahren gesellten sich auch "zunehmend panislamistische Gedanken" hinzu. "Aus beiden Ideenwelten speist sich eine antiisraelische Grundhaltung", sagt Rammerstorfer, der ein Buch über die Grauen Wölfe geschrieben hat.

Keine Vereine, sondern das Umfeld rechtsextremer Parteien

Einen offiziellen Verein, oder eine Organisation namens Graue Wölfe gibt es in Österreich nicht. Als Graue Wölfe wird das Milieu im Umfeld der rechtsextremen türkischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) bezeichnet, die als Juniorpartner mit der Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan eine Koalition bildet. Laut Rammerstorfer sei der Unterschied zwischen den beiden Parteien häufig nicht mehr wirklich groß. Die MHP wurde in den vergangenen Jahren "religiöser, die AKP nationalistischer, was sich insbesondere durch einen harten Kurs gegen die kurdische Autonomiebewegung manifestiert".

Wolfsgruß in Mauthausen

Ideologisch propagieren die Grauen Wölfe einen ethnischen Nationalismus, verfolgen das Ziel eines großtürkischen Reichs und bauen auf Rassismus, Sexismus, Homophobie, Antisemitismus, Autoritarismus, Führerkult und Gewaltakzeptanz. Ein Weltbild, welches sich kaum von jenem deutschsprachiger Rechtsextremisten unterscheidet. In Frankreich wurden die Grauen Wölfe im vergangenen Jahr verboten. Die Bewegung schüre Hass und sei an Gewaltaktionen beteiligt, hieß es zur Begründung.

Selbst nennen sich ihre Anhänger "Ülkücü", auf Deutsch bedeutet das Wort so viel wie "Idealismus". Ihr Symbol ist der "Graue Wolf" (Bozkurt), der aus einem alttürkischen Mythos stammt und Stärke und Aggressivität der Bewegung symbolisieren soll, wie die deutsche Bundeszentrale für politische Bildung feststellt. Der sogenannte Wolfsgruß, bei dem Daumen und Finger des rechten ausgestreckten Arms den Kopf eines Wolfs formen, gilt als das Erkennungszeichen. Das Zeigen des Wolfsgrußes ist in Österreich seit 2018 verboten, nachdem die damalige türkis-blaue Regierung ein Update des Symbole-Gesetzes verabschiedete. Zwei Jahre zuvor sorgte ein Funktionär eines Linzer Vereins für Schlagzeilen, nachdem er Foto veröffentlichte, das ihn beim Zeigen des Grußes in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen zeigte. Als eine "Verhöhnung der Opfer" verurteilte Willi Mernyi vom Mauthausen Komitee das Foto.

Ein Pickerl der Antifa.
Foto: Markus Sulzbacher

Zusätzlich werden die "Drei Halbmonde" mit rotem Hintergrund als Symbol genutzt. Es stammt ursprünglich aus dem Osmanischen Reich und verkörpert die drei Kontinente Asien, Afrika und Europa, auf denen die Osmanen geherrscht und den Islam verbreitet haben sollen. Diese Symbolik wird auch von den Rechtsextremen benutzt, um ihre Verbundenheit zum Osmanischen Reich zu zeigen. In der Lesart des türkischen Rechtsextremismus symbolisieren die "Drei Halbmonde" die türkische Einheit aller Turkvölker.

Terror

Ihre Wurzeln hat die Bewegung in den faschistischen 1930er- und 1940er-Jahren. Zur Zeit des Zweiten Weltkriegs wurde die Grauen Wölfe beziehungsweise ihre Vorgängerorganisationen stark von Nazi-Deutschland unterstützt, um die Türkei während des Zweiten Weltkriegs zumindest neutral zu halten. Mitglieder der Grauen Wölfe verübten in der Vergangenheit auch Terrorakte und Morde – auch außerhalb der Türkei. So schoss 1981 das Graue-Wölfe-Mitglied Ali Ağca auf Papst Johannes Paul II. auf dem Petersplatz in Rom. Im Jahr 1980 wurde ein linker Gewerkschafter in Berlin-Kreuzberg erstochen.

In Österreich waren Graue Wölfe im vergangenen Sommer in den ersten Reihen dabei, als es in Wien-Favoriten Übergriffe gegen Kurdinnen und Kurden gab, als diese gegen Gewalt an Frauen demonstrierten. Auch darauffolgende antifaschistische Protestkundgebungen wurden von ihnen angegriffen, dabei kam es rund um das linke Ernst-Kirchweger-Haus zu Auseinandersetzungen. Auch schon zuvor kam es in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der Grauen Wölfe und linken Gruppen.

Das Buch von Thomas Rammerstorfer.
Foto: Archiv

"Türkei-stämmige Demokraten und Demokratinnen leben in einem permanenten Klima der Angst und der Bedrohung. Konkrete Attentatspläne gab es etwa gegen die Wiener Grünen-Politikerin Berivan Aslan", sagt Rammerstorfer. "Es kommt immer wieder zu Übergriffen, ein noch größeres Problem ist aber eine Denunziation bei den türkischen Behörden. Aufgrund solcher Aktivitäten wurden in den vergangenen Jahren dutzende Menschen bei einer Einreise in die Türkei, etwa beim Familienbesuch, festgenommen."

Fußballturniere und Kinderfeste

In Österreich liegt die Anzahl der Graue Wölfe "im niedrigen vierstelligen Bereich, wobei hier einige Karteileichen und Familienmitglieder dabei sind, die nicht wirklich aktiv sind", erklärt der Buchautor. Damit sind sie eine der größten rechtsextremen Gruppierungen des Landes. Der wichtigste Dachverband ist die Türkische Föderation in Österreich (Avusturya Türk Federasyon, ATF), "quasi eine Auslandsorganisation der MHP mit gut 20 Vereinen", sagt Rammerstorfer. Sie betreibt Kultur- und Sportvereine. "Man macht alles im Bereich des sozialen Zusammenlebens", erklärt Rammerstorfer mit Blick auf Fußballturniere oder Kinderfeste.

Dazu kommen Mitglieder der Partei der Großen Einheit (BBP), einer Abspaltung der MHP, die hierzulande "etwa fünf Vereine hat". Wichtige Strukturen wie Lokale oder Moscheen finden sich in Wien, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg und Vorarlberg. Über der Türkischen Föderation in Österreich gibt es noch einen europäischen Dachverband, der in Deutschland ansässig ist. Darüber steht dann nur mehr die Türkei. Wichtige Entscheidungen werden in Ankara oder Istanbul getroffen. Es gibt wohl wenige Themen, wo der österreichische Ableger nicht vorher um Erlaubnis in der Türkei fragen muss.

Die Türkische Föderation ist auch in der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) vertreten, der offiziellen Vertretung der muslimischen Community. Aus pragmatischen Gründen versuchten die Grauen Wölfe im urbanen Gebiet bei der SPÖ anzudocken, was etwa in Linz zeitweise auch gelang. Nach Berichten in der "Presse" hat sich mittlerweile seitens der SPÖ aber eine kritische Haltung durchgesetzt. Auch haben linke Splittergruppen in den vergangenen Jahren schon mal mit den Rechtsextremen gemeinsam demonstriert.

"Eine Reihe von Spitzenfunktionären sind gut etablierte Unternehmer"

Ihre öffentlichen Aktivitäten sind "eher rückläufig, in den letzten Jahren hat man immer wieder Schwierigkeiten bekommen, beispielsweise bei Konzertveranstaltungen", sagt Rammerstorfer. Finanziell und organisatorisch scheinen die Strukturen aber dennoch bemerkenswert stabil zu sein. "Eine Reihe von Spitzenfunktionären sind gut etablierte Unternehmer, auch von Unterstützung aus der Türkei ist auszugehen. "Im Netz unterhalten die meisten Vereine und viele der Spitzenfunktionäre Accounts, die neben Informationen zu den Vereinsaktivitäten "diverse Propagandabildchen, Memes, Shareables und Videos verbreiten, die sich fast ausschließlich mit türkischer Politik und den diversen militärischen Abenteuern mit Beteiligung von Grauen Wölfen beschäftigen, "etwa in Syrien, dem Irak und zum Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien".

Neben den Vereinen betont der Experte, gebe es aber auch "Jugendkulturen, die eher subkulturell inspiriert sind". Für sie bedeuten die "Grauen Wölfe" Jugendkultur, die Männlichkeit, Nationalismus und Zusammenhalt verkörpert. Jugendliche würden sich auch über das Internet und Jugendbanden radikalisieren.

In Österreich ist das öffentliche Zeigen des Wolfsgrußes verboten.
Foto: Imago

Besonders bei männlichen Teenagern kommt ihr martialisches Auftreten an, sie nehmen die die Grauen Wölfe als Teil ihr (Pop-)Kultur wahr und werden von der versprochenen rechtsextremen Erlebniswelt angezogen. "Nicht wenige haben auch Erfahrungen mit Ausgrenzung und Diskriminierung, die den Anschluss an eine vermeintlich 'starke' Bewegung attraktiv erscheinen lassen", sagt Rammerstorfer. Eine Reihe von Online-Shops verbreiten Logos und Brimborium der Grauen Wölfe, manche haben tausende entsprechende Produkte im Angebot, darunter auch Waffen.

Der Innenminister und die Wölfe

Zwar werden die Grauen Wölfe nicht im Verfassungsschutzbericht erwähnt, aber Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) erwähnt sie regelmäßig. Im Zusammenhang mit den antiisraelischen Kundgebungen Mitte Mai warf er dem türkischen Präsidenten Erdoğan vor, "Öl ins Feuer" zu gießen. Erdoğan hatte unter anderem Israel als "Terrorstaat" bezeichnet. Dabei erwähnte Nehammer auch, dass die Grauen Wölfe im vergangenen Sommer "tagelang für Ausschreitungen gesorgt" hätten. Auch gebe es "deutliche Hinweise darauf gab, dass die Türkei Einfluss auf die Krawalle in Wien-Favoriten genommen hat".

Das Innenministerium selbst veröffentlicht hingegen kaum Informationen über die Gruppierung. Weder in den jährlichen Berichten des Verfassungsschutzes noch in Beantwortung parlamentarischer Anfragen werden substanzielle Informationen veröffentlicht. Etwa darüber, wie stark die Bewegung ist und über welche Kontakte sie im Ausland verfügen. Im vergangenen Jahr wurde allerdings festgehalten, dass "als Graue Wölfe generell türkische Rechtsextremisten wie Mitglieder der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) oder der Partei der Großen Einheit (BBP) bezeichnet werden und es sich bei diesen um keine einheitliche Organisation oder einen Verein handelt". (Markus Sulzbacher, 28.5.2021)