Eine Expedition in den Dschungel Papua-Neuguineas bildet das Zentrum des Romans.

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Robert Akeret ist Kryptozoologe, beschäftigt sich also mit jenen Lebewesen, deren Existenz zweifelhaft und höchstens durch Erzählungen verbürgt ist. Akerets Expedition ins Innere Papua-Neuguineas und sein Ziel, das mythenumrankte, halbmenschliche Zwischenwesen "Orang Pendek" zu finden, um es auf den Namen "Homo akereti" zu taufen, bilden das Zentrum des Romans.

In diesem Anliegen erweist sich Akeret, mal wissenschaftlich objektiv, mal narzisstisch und mit Hang zum Mystischen, als ein kurioser Wiedergänger europäischer Forschungsreisender des 18. und 19. Jahrhunderts und ihrer mit abendländischer Rationalität und Selbstüberschätzung bewehrten Vorstöße in die außereuropäische Fremde.

Durch explizite Verweise auf James Cook, Humboldt, Claude Lévi-Strauss oder Margaret Mead reiht Maisel seinen Protagonisten in die entsprechende Ahnengalerie der Feldforschung ein. Zugleich aber offenbart sich am Beispiel Akeret hinter wissenschaftlichen Idealen und Entdeckerdrang ein ganzes Panorama an Eitelkeiten, geheimen Wünschen und Unzulänglichkeiten.

Zwischen Mensch und Tier

Der Roman berichtet also von Akerets Schiffsexpedition in den neuguineischen Dschungel und von seinem Forschertrieb. Für ihn, dem alles Zwischenmenschliche unmäßig Schwierigkeiten bereitet, sind die Theorien Ernst Haeckels und Carl von Linnés zu geradezu religiösen Instanzen geworden: "Die Taxonomie war Metaphysik im wörtlichen Sinne, ein Sehen hinter die Natur, das bei Akeret jene Schauer hervorrief, die Gläubige wohl bei der Anrufung ihres Gottes überliefen."

Und so soll auch die Entdeckung des "Orang Pendek" dem Sonderling Akeret nicht nur zu akademischen Ehren verhelfen, sie würde vielleicht auch den "zwischen Mensch und Tier klaffenden Graben, den er so schmerzlich empfand", überbrücken.

Die Ordnung der Welt und die Stellung des Menschen darin beschäftigen auch Akerets Begleiter: den jungen Ethnologen Blum sowie die aus Papua und Sulawesi stammenden Feldassistenten Jonah und Mansur. Blum geriert sich gerne als Eurozentrismuskritiker, und so sinnfällig seine Einwürfe sind, etwa dass die "sogenannten Entdeckungen immer nur aus der Sicht des Europäers welche seien", so akut ist er von allem Nichteuropäischen überfordert.

Geschickt variiert der Roman hier Figurenzeichnungen und Themen einer postkolonial-kritischen Reiseliteratur, wie sie sich im Deutschen seit den 1970er-Jahren herausgebildet hat – etwa dass authentische Fremdheit und unberührte Natur primär in der europäischen Fantasie existieren.

Dies führt Maisel wiederholt vor: In Singapurs Wolkenkratzern wurden tropische Dschungellandschaften gepflanzt, Kinder spielen mit ferngesteuerten Kakerlaken, nach tagelanger Reise trifft man in der abgeschiedenen Wildnis ausgerechnet auf gutgelaunte Touristen, und Jonah, der von der melanesischen Insel New Britain stammt, spricht Deutsch.

Ein anspielungsreicher Text

Je näher die Expedition ihrem Ziel vermeintlich kommt, desto tiefer führt der Roman in Rückblenden auch in die Biografien von Mansur und Jonah. Ethnologisch und historisch informiert beschreibt Maisel zum Beispiel muslimische Hochzeitszeremonien oder wie verarmte Fischer zum Dasein als Piraten genötigt werden.

Und wenn erzählt wird, wie Jonahs Großmutter zu Beginn des 20. Jahrhunderts bei einer Völkerschau in Deutschland ausgestellt und begafft wurde, wird auch die Kolonialvergangenheit New Britains, der ehemaligen deutschen Kolonie Neupommern, beleuchtet.

Mit diesen Biografien verdichten sich auch die Verweise auf europäische und asiatische Mythen, Sprachen und kulturhistorisch bedeutende Texte wie das aus dem 13. Jahrhundert datierende Epos "La Galigo" der Volksgruppe der Bugis oder Texte der sufistischen Mystik. In Maisels Roman werden sie, ohne exotistische Staffage zu sein, zu einem anspielungsreichen transkulturellen Text verwoben.

Bei alldem ist Das Buch der geträumten Inseln ausnehmend komisch. Denn Maisels Spiel mit Motiven der Reise- und Abenteuerliteratur, mit postkolonialen Darstellungsmaximen und wissenschaftsgeschichtlichen Kuriosa ist so ironisch wie überraschend und die vielleicht lustvollste Variante zeitgenössischer Reiseliteratur. Seine Lesung beim diesjährigen Bachmannpreis ist mit Spannung zu erwarten, sein Debütroman in jedem Fall zu empfehlen.(Fermin Suter, ALBUM, 12.6.2021)