Facettenreiche Fusion: In der "Radfahrerin" vereinigt Pillhofer tote und lebendige Materie, Abstraktion und Figur.
Foto: Manfred Thumberger / Bildrecht Wien

Aus Angst, die Bodenhaftung zu verlieren, beschritt der Bildhauer Josef Pillhofer zeitlebens zwei Wege: Einerseits begann er schon früh Formen derart zu reduzieren, dass sie ins Abstrakte abdrifteten, andererseits verlor er nie das Figürliche, das Arbeiten nach lebendigen Modellen aus den Augen. Darüber hinaus legte er sich auf keinen konkreten Stil fest und ließ sich in keine Schublade einordnen. Wie facettenreich das Werk des aus dem steirischen Mürzzuschlag stammenden Künstlers ist, der dieses Jahr 100 Jahre alt geworden wäre, verdeutlicht eine umfassende Retrospektive im Leopold-Museum.

Darin werden Arbeiten aus 60 Jahren künstlerischen Schaffens mit bildhauerischen Werken bedeutender Protagonisten der Moderne, darunter Auguste Rodin, Alberto Giacometti, Wilhelm Lehmbruck oder Joannis Avramidis, kombiniert. Mit diesem Dialog will Direktor Hans-Peter Wipplinger dem Werk Pillhofers zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen. Denn obwohl der 2010 verstorbene Künstler zweimal an der Venedig-Biennale teilnahm, den Österreichischen Staatspreis erhielt und so zu den wichtigsten Bildhauern Österreichs zählt, teilt er das Schicksal vieler seiner Profession: eine vergleichsweise geringe Bekanntheit.

Im Dialog: "Le corsage orange – Dora Maar" von Pablo Picasso neben einem Kopf von Josef Pillhofer.
Foto: Leopold Museum, / Lisa Rastl

Vernachlässigte Bildhauerkunst

Um dieses Bild geradezurücken, nimmt sich Wipplinger verstärkt der bildhauerischen Kunst an. Diese Vernachlässigung, so der Direktor, liege am Problem der Vermittlung von Skulptur – und zwar im doppelten Sinn: Erstens sei sie inhaltlich oft schwieriger fassbar, insbesondere abstrakte Werke. Und zweitens ist sie als Objekt meist mühsam zu transportieren. Einige der hier gezeigten Arbeiten wiegen knapp eine Tonne, jede Bewegung bedarf eines Hebekrans. Pillhofers Materialien reichen von Nussholz über Sandstein, Stahl und Bronze bis zu Gips.

Mit welcher fragilen Eleganz seine Werke dann trotzdem auftreten, ist beeindruckend. Diese Leichtigkeit zieht sich auch durch die luftig konzipierte und insgesamt gelungene Schau. Das Skulpturenspektakel kann also beginnen.

Pillhofer in seinem Atelier, 1952.
Foto: Manfred Thumberger / Bildrecht Wien

Doch auch analytische Arbeiten auf Papier sind ergänzend zu sehen und zeigen Pillhofer als "Tüftler". Hier mit seinen Idolen, Beeinflussern und Mitstreitern in Interaktion zu treten hätte dem Künstler bestimmt gefallen: Er hielt es für bedauerlich, wenn jüngere Künstler keine Vorbilder hatten. Ihm dienten diese als Ausgangspunkt, beziehen doch alle großen Bildhauer ihren Formenschatz aus der Vergangenheit. "Was wäre Rodin ohne Michelangelo?", fragt Wipplinger rhetorisch.

Vom Turm zum Tanz

Seine ersten wichtigen Prägungen erhielt Pillhofer bei Fritz Wotruba, dessen Klasse er an der Akademie der bildenden Künste in Wien nach seinem Besuch an der Grazer Kunstgewerbeschule besuchte. Er studierte die kubistische Formensprache, die er während seiner Zeit in Paris Anfang der 1950er-Jahre bei Ossip Zadkine weiter vertiefte. Doch anders als Wotruba und Zadkine ließ sich Pillhofer auf die Abstraktion sowie sanftere Geometrien ein, ging einen Schritt weiter. Eher hingezogen war er zum Duktus von Henri Laurens. Neben dessen Figur La mère ("Die Mutter") steht die Radfahrerin (Bild) von Pillhofer, in der er tote und lebendige Materie verschmelzen lässt.

Skulpturen wie auf einem Altar: Götter der Bildhauerkunst.
Foto: Leopold Museum, / Lisa Rastl

Dieser wirklich reiche und originäre Formenschatz Pillhofers wird durch die Sprünge der Kapitel deutlich: Gerade noch baut er Türme und Köpfe aus kubistischen Formen (Picasso), reduziert die Ei-Urform zur einfachsten Einform und formt fast naturalistische Skulpturen nach antikem Vorbild, um gleich darauf tanzende Figuren (Degas) in ihrer Bewegung abzubilden. Überraschend begegnet einem auch ein geometrisch zerlegter Körper von Maria Lassnig, die mit Pillhofer befreundet war. Schließlich fügen Metallarbeiten eine neue Facette hinzu und verweisen auf sein letztes großes Projekt 2008: eine Meter große Stahlskulptur vor dem Kärntner Museum Liaunig.

In dramatischen Lichtkegeln und vor dunklen Wänden wirken die Skulpturen gar anmutig. An einer Stelle sind sie fast erhaben auf einem Altar vereint, gemeinsam mit ihren Erschaffern. (Katharina Rustler, 17.6.2021)